Neustadt Jesu’ Blut hat mich nie enttäuscht

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht; mir aber prägen sich die Bilder, die ich in der letzten Zeit in den Nachrichten gesehen habe, tief ein: Bilder von Menschen, die in ihrem Blut liegen – in Paris, der Ukraine oder an anderen Plätzen der Welt. Es sind Bilder von roher Gewalt und Tod. Diese Bilder lösen Entsetzen und Hilflosigkeit aus. Es gibt aber ein ganz anderes Bild von Blut: Der englische Komponist Gavin Bryars erzählt, dass er im Jahr 1971 mit einem Freund an einem Film über Obdachlose in London arbeitete. Er schreibt: „Wir nahmen viele Penner auf, die meisten sangen uns in ihrem Suff Opernarien oder Balladen vor. Einer aber, nüchtern und mit einer Ausstrahlung wie Charlie Chaplin, trat vor die Kamera und sang ein Kirchenlied: „Jesus Blood never failed me yet.“ Es ist schwer, das angemessen zu übersetzen. So etwa trifft es den Sinn: Jesu’ Blut hat mich nie enttäuscht, ist mir nie versiegt.“ Der Komponist Bryars ließ die Passage mit dem Lied als Endlosschleife auf ein Tonband spielen. Er schreibt weiter: „Um mir die Zeit zu vertreiben, ging ich unterdessen in ein Café, während das Band immer und immer wieder lief. Die Tür zum Studio hatte ich versehentlich offen gelassen. Als ich nach gut einer halben Stunde wieder kam, herrschte im Studio und den angrenzenden Räumen eine seltsame Atmosphäre. Die Leute, die dort ein- und ausgingen, liefen leise und langsam durch die Gänge. Einige saßen an ihren Schreibtischen und weinten.“ Danach hat er diese Endlosschleife in verschiedenen Sätzen mit Orchester, Streichern oder Chor unterlegt. Der Klassiker von Gavin Bryars wurde so ein bewegendes Zeugnis eines Namen- und Gesichtslosen, der nie diese Musik zu hören bekam. Der Komponist hat den obdachlosen Sänger gesucht, aber nie gefunden. Das Tonband mit seiner Stimme aber singt sein Glaubensbekenntnis durch die Zeit weiter: Jesus blood never failed me yet, this one thing I know, for he loves me so. Mir jedenfalls ist dieses Lied eine Hilfe beim Betrachten der Gewaltbilder unserer Tage: Dies ist nicht die ganze Realität, es gibt jemanden, der dies überwunden hat, jemanden, der mich nie enttäuscht und der mich abgrundtief liebt. (Archivfoto: LM)

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