Neustadt Interessantes auch aus Deutschland
Neustadt. Ein abwechslungsreiches Programm bietet die Kunstfilmreihe „Arthouse“ im Neustadter Roxy-Kino auch in den Monaten November und Dezember.
Gerade haben 50 deutsche Filmkünstler in einem offenen Brief an Angela Merkel für den Erhalt des deutschen Filmförderfonds plädiert. Denn der sollte 2015 von 60 Millionen auf 30 Millionen gekürzt werden; man einigte sich auf 50 Millionen. Keine Frage, Filme machen ist teuer, und ohne öffentliche Subvention – der Filmförderfonds stellt nur einen Teil davon dar – gäbe es kaum größere deutsche Filme. Es heißt stets, dass die Kosten, da der deutschsprachige Markt zu klein sei, über Kino, Fernsehen und andere Medien nicht wieder eingespielt werden könnten. In Frankreich allerdings, wo kräftig subventioniert wird, werden ständig Filme gedreht, die nicht nur ihr Geld einspielen, sondern auch im Ausland Kasse machen – „Willkommen bei den Sch’tis“ und „Ziemlich beste Freunde“ beweisen es. Die naheliegende Frage, warum deutsche Filme – Ausreißer wie „Keinohrhase“ und „Fack ju Göhte“ scheinen die Regel zu bestätigen – beim großen Publikum nicht ankommen, wird von deutschen Filmkünstlern seit vielen Jahren verdrängt. Das neue Arthouse-Programm des Neustadter Roxy-Kinos präsentiert von rund 180 Filmen, die jährlich in Deutschland produziert werden, fünf der interessantesten Werke. Der Agententhriller „A Most Wanted Man“ (24. November) ist zwar von einem holländischen Regisseur gedreht und mit US-Star Philip Seymour Hoffman besetzt, entstand aber in Hamburg mit Unterstützung der Hamburg-Schleswig-Holsteinischen Filmförderung. Volker Schlöndorffs Kammerspiel „Diplomatie“ (17. November), in dem kurz vor dem Einmarsch der Alliierten in Paris 1944 ein schwedischer Konsul den deutschen Oberkommandierenden Dietrich von Choltitz von der Zerstörung der „Stadt der Lichter“ (Paris) abzuhalten versucht, ist eine deutsch-französische Koproduktion, gefördert auch von Baden-Württemberg. „Phoenix“ (8. Dezember) von Christian Petzold bekam Geld aus dem Medienboard Berlin-Brandenburg. In dem hochmelancholischen Nachkriegsdrama mit Hitchcock’scher Pointe engagiert ein Musiker eine Unbekannte, die seiner im KZ getöteten Frau ähnlich sieht, um an das Erbe der Verstorbenen zu kommen. „Jack“ (22. Dezember), von vier Filmförderinstitutionen subventioniert, ist ein packendes kleines Roadmovie, in dem ein Junge mit seinem Brüderchen auf der Suche nach seiner Mutter obdachlos durch Berlin zieht. Auch „Ein Geschenk der Götter“ (15. Dezember), von der Baden-Württembergischen Filmförderung gefördert, ist ein Leckerbissen für fortgeschrittene Kinogänger: eine traumwandlerisch sicher getaktete Theater-im-Film-Komödie, in der eine gekündigte Stadttheaterschauspielerin mit acht Arbeitslosen Sophokles antikes Drama „Antigone“ probt. So großartig besonders die beiden letzten Filme sind, so dürften sie dennoch weniger Zuschauer hinterm Ofen hervorlocken als „Gemma Bovery“ (10. November), „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ (3. November) und selbst der japanische Film „Like Father, Like Son“ (1. Dezember). Für diese ebenso leichtfüßige wie feinfühlige Familienkomödie über Kinder, die bei der Geburt vertauscht wurden, hat sich Steven Spielberg (und der muss es ja wissen) sofort nach Premiere auf dem Filmfestival in Cannes die Rechte für ein Remake gesichert. In „Gemma Bovery“, einer liebenswert satirischen Tragikomödie über die Verwechslung von Literatur und Leben, glaubt ein französischer Bäcker in einer entzückenden Engländerin eine tragische Romanheldin wiederzuerkennen. Wenn die titelgebende Schöne genießerisch in Monsieur Jouberts Buttercroissants beißt, möchte man stehenden Fußes zum normannischen Drehort eilen. Und den britischen Programmkinohit „Mr. May“ über einen einsamen Nachlassverwalter auf den Spuren Verstorbener verlässt man nach zahlreichen Beerdigungen, extrem gut gelaunt, mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Wäre „Mr. May“ ein Film deutscher Machart, dann wäre er, das würden Verteidiger hiesiger Filmkunst hinter vorgehaltener Hand zugeben, wohl nur zum heulen. (chy)