Neustadt In gefährlichen Zeiten aufgestanden

Für Wera Schmieder aus Stuttgart war es gestern der erste Besuch in der Neustadter Gedenkstätte für NS-Opfer. Betroffen stand sie vor der Wand mit den 500 Namen der einst im „Schutzhaft- und Arbeitslager“ in der Turenne-Kaserne Inhaftierten – darunter auch der Name ihres Vaters Ludwig Manderschied. „Das ist wie ein Schlag auf den Kopf“, befand die 83-Jährige. Mit ihr waren Enkel und Kinder weiterer ehemaliger Häftlinge gekommen. Gedenkstättenleiter Eberhard Dittus hatte das Gespräch organisiert, unterstützt von seinem Vereinskollegen Hans-Jürgen Hemmerling, der viele der Männer noch persönlich kannte. „Sie alle stammten aus dem sozialen Milieu der Arbeiterklasse und waren weitläufig miteinander verwandt“, so Hemmerling. „Es bestand ein großes Maß an Verbundenheit. Vor allem aber waren sie Gegner der Nazis.“ Hans Schreiber und Ludwig Manderschied einte als Mitglieder der linken Arbeiterpartei nicht nur die politische Überzeugung, sondern auch die Liebe zu Büchern, erinnerte sich Wera Schmieder. „Wenn Schreiber zu Besuch kam, fragte er als erstes: Na, Manderschied, haste schunn än neies Büchl?“ Viele der Bücher wurden von den Nazis beschlagnahmt und verbrannt – aber nicht alle, wie sich Hans Schreiber junior gestern erinnerte: „Mein Vater hatte eine Bücherkiste zu seinen Eltern auf die Haardt geschmuggelt. Dort hat sie den Krieg unbeschadet unter einem Hühnerstall überlebt.“ Sogar in der Haft verlangte der Büchernarr Manderschied nach Lesestoff. „Mein Vater bat darum, den Roman ,Pelle der Eroberer’ lesen zu dürfen“, erzählte seine Tochter. „Der Aufseher dachte, es sei ein Familienroman, und gab die Erlaubnis. Von der sozialkritischen Dimension des Werks hatte er keine Ahnung.“ Von der Zeit der Inhaftierung hätten die Väter ansonsten nicht viel erzählt. „Viele der ehemaligen Häftlinge haben die Verhaftung als persönliche Niederlage erlebt“, so Hemmerling. Trotzdem haben der Mut und die unbeugsame politische Überzeugung der Väter die Nachkommen geprägt. „Bei uns ging es immer nur um Politik, als ich jung war. Ich wollte damit erst mal nichts zu tun haben“, gab Schreiber zu. Zudem hatten die Schreibers wirtschaftliche Nachteile: Weil der Vater nach der Haft keine Arbeit mehr bekam, musste sich die Familie mit einem Zigarettengeschäft über Wasser halten. Später ist er dennoch in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hat die Naturfreunde-Gruppe jahrelang mitgeprägt. Klaus Köhler, dem Enkel von Ludwig Manderschieds Schwager Klaus Beyer, dient die Großvater-Generation als Vorbild: „Wenn die in solch gefährlicher Zeit aufgestanden sind, dann kann ich das in unserer Zeit erst recht tun“, ist das Neustadter Stadtratsmitglied überzeugt.

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