Neustadt Gutes und Schlechtes in Sichtweite

Eine Fahne als Kunstwerk der Meinungsfreiheit.
Eine Fahne als Kunstwerk der Meinungsfreiheit.

Die guten und die schlechten Zeiten der Demokratie sind in Neustadt mit dem Hambacher Schloss und der NS-Gedenkstätte im Quartier Hornbach quasi in Sichtweite. Aus dieser räumlichen Nähe ist ein Projekt entstanden, das jungen Geflüchteten das Verständnis für Demokratie nahebringen will. Zum Abschluss wurde am Donnerstag eine selbstgestaltete Fahne der Demokratie gehisst.

Nun weht die Fahne im herbstlichen Sturm und verkündet die Wünsche und Hoffnungen der Flüchtlinge, die sie an das Leben in einer Demokratie haben. Vier Tage lang haben die Teilnehmer eines Integrationskurses der Volkshochschule Demokratie erlebt: Sie haben auf dem Hambacher Schloss von den Anfängen der demokratischen Idee in Deutschland erfahren und an der NS-Gedenkstätte im Quartier Hornbach gesehen, was passiert, wenn die Demokratie zerstört wird. Sie haben gelernt, was Gleichberechtigung, Wahlrecht und Freiheit bedeuten – für Menschen aus der Diktatur Eritrea oder dem Bürgerkriegsland Syrien eine Erfahrung von unschätzbarem Wert. „Für manche Geflüchteten war es schwer, in die Zellen an der Gedenkstätte zu gehen – weil sie etwas Ähnliches selber erlebt haben“, berichtet Eberhard Dittus, Vorsitzender der Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt. Die Idee zu einem gemeinsamen Projekt war spontan im Gespräch zwischen Dittus und Petra Schanze vom Jugendamt entstanden. Es brauchte nicht viel, um Charlotte Dietz und Ulrike Dittrich von der Stiftung Hambacher Schloss mit ins Boot zu holen, und auch die Volkshochschule nahm das Angebot gerne an, das Thema Demokratie mal nicht nur theoretisch zu behandeln. Im Juni hatte das Projekt „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“ Premiere. Nachdem nun der zweite Kurs erfolgreich beendet ist, soll es auf jeden Fall weitergehen. „Wir möchten das Projekt auch interessierten Schulklassen aus Neustadt anbieten“, sagt Petra Schanze, und Ulrike Dittrich ergänzt: „Ein Austausch zwischen Geflüchteten und deutschen Schülern zum Thema Demokratie wäre sicher auch sehr spannend…“ „Die Lehrer waren sehr ehrlich im Umgang mit der Geschichte, das hat mich beeindruckt“, sagt einer der 15 Teilnehmer aus der Türkei: „Ich erzähle meiner Frau und meinen Freunden, was ich hier gelernt habe. Es ist sehr wichtig für uns.“ Abdulmajid Alibrahim aus Syrien hatte zwar mit den vielen neuen Wörtern zu kämpfen, die ein Kurs über Demokratie zwangsläufig mit sich bringt. Aber er ist sehr stolz auf die Fahne, die er mit den anderen gestaltet hat. „Jetzt können die Menschen sehen, was wir fühlen. Wir können unsere Stimme erheben und ein bisschen mutig sein“, sagt der junge Mann, der noch in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt und bedauert, dass er dadurch wenig Kontakt zu Deutschen habe. Sein Satz auf der Fahne lautet: „Ich möchte als Ausländer in Deutschland akzeptiert werden.“ Yonas Berhane, der aus Eritrea geflohen ist, hat einen großen Wunsch. „Ich möchte wählen können“, hat er auf die Fahne geschrieben, die noch zwei Wochen an der NS-Gedenkstätte hängen soll. „Die Geflüchteten waren interessiert, ja begeistert von dem, was sie gelernt haben“, hat VHS-Kursleiter Bernhard Rieger beobachtet. Und dass sie das Gelernte verinnerlicht haben, war beim Abschluss des Nachmittags zu beobachten, als Eberhard Dittus Schokoriegel an die – zufällig nur männlichen – Kursteilnehmer verteilte. „Warum kriegen nur die Männer was?“, fragte ein Syrer: „Wir haben doch gelernt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind.“

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