Neustadt Gute Seiten, schlechte Seiten

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Anders als geplant ist Stefan Bongards Morgen gelaufen, ganz anders. Eigentlich wollte der 51-Jährige mit einem zu Hause in Speyer geparkten Elektroauto an die Hochschule nach Ludwigshafen fahren und unterwegs seine beiden Kinder in der Schule abliefern. Das Problem: Bei einer winterlichen Temperatur knapp unter dem Gefrierpunkt ist der vollelektrische Kleinbus nicht angesprungen. Warum nicht? Bongard hat keine Erklärung, und er hatte auch keine Zeit, sich intensiv damit zu befassen. Er setzte sich und die Kinder kurzerhand in das Familienauto – einen Diesel. Die Anekdote passt zu den Ergebnissen der Untersuchung, die Bongard zusammen mit einem kleinen Team in den vergangenen vier Monaten an der Hochschule zur Akzeptanz von Elektromobilität vorgenommen hat. Seine eigenen Erfahrungen decken sich ziemlich genau mit denen seiner Teilnehmer. „Es ist total bequem, mit dem Elektroauto unterwegs zu sein“, so der Hochschullehrer. „Man steckt den Schlüssel rein, und es geht los.“ Kein Motor blubbere, keine Qualmwolken verpesteten die Luft, und vor allem: Die Fahrt verlaufe unglaublich leise. „Das fühlt sich gut an.“ Allerdings fallen Bongard auf Anhieb mindestens so viele Nachteile wie Vorzüge ein. Neben dem rätselhaften morgendlichen Nichtanspringen bei Minusgraden sind das vor allem die Reichweite, die ein ständiges Aufladen des Fahrzeugs notwendig macht, und die hohen Anschaffungskosten. „Ich bin Betriebswirt“, sagt Bongard, „und wenn wir jetzt in der Familie ein neues Auto bräuchten, würden wir uns nicht für ein Elektroauto entscheiden.“ Denn: Damit sich der Kauf rechne, müsse man 80.000 bis 100.000 Kilometer im Jahr fahren. Wer allerdings so viel fahre, müsse sein Fahrzeug auch ständig aufladen. Das sei im Alltag unpraktisch. Um die Nutzung von Elektroautos einem Praxistest mit realistischen Bedingungen zu unterziehen, hat Bongard im nächste Woche zu Ende gehenden Wintersemester ein Projekt mit dem Titel „Try-e“ organisiert. Dank der Technischen Werke Ludwigshafen (TWL) stand der Hochschule für vier Monate neben dem elektrischen Kleinbus auch ein Nissan Leaf II zur Verfügung. Für mehrere Tage am Stück, entweder unter der Woche oder am Wochenende, konnten Studierende, Dozenten und Mitarbeiter der Hochschule das Fahrzeug ausleihen und erproben – und dabei ganz nebenbei den Vorzug eines Parkplatzes direkt vor der Tür genießen. Das Interesse daran war riesig. „Auf 30 Möglichkeiten der Ausleihe kamen 256 Bewerbungen“, berichtet Bongard. Die Zeiträume der Ausleihe zu verkürzen, um mehr Leute zum Zug kommen zu lassen, habe er nicht in Betracht gezogen. Denn die Einschätzung, dass das Fahren mit dem E-Auto Spaß macht („Man drückt aufs Gas wie beim Boxauto“), genügte ihm und seinem kleinen Team, das die Ausleihe organisierte, nicht. „Interessant wird es, wenn man zum Beispiel eine Wochenendtour macht“, meint der 51-jährige Speyerer. „Dann muss man anfangen zu planen: Reicht die Reichweite für einen Ausflug? Gibt es unterwegs eine Ladestation? Was mache ich, wenn sie besetzt ist? Oder meine Kreditkarte nicht akzeptiert?“ Er selbst hat auf dem Heimweg von Mainz nach Speyer erlebt, wie man von der Technik verunsichert werden kann: Weil es ein Stück bergauf ging, sank plötzlich der Wert der errechneten Reichweite rapide. „Da bin ich schon ins Schwitzen gekommen“, sagt Bongard. Diese Verunsicherung drückt sich auch in den Werten aus, die der Professor für Betriebswirtschaftslehre und Logistik im Fachbereich Dienstleistungen & Consulting vor und nach dem Leihen des Autos erhoben hat. Nicht nur die Kaufbereitschaft der Nutzer ist um 15,9 Prozent gesunken, sondern erstaunlicherweise auch ihr selbsteingeschätztes Wissen über Elektromobilität: um 14,1 Prozent. Absolute Zahlen kann Bongard wegen der geringen Fallzahl nicht nennen, eine Tendenz ist für ihn erkennbar: „Es gibt eine große Verunsicherung.“ Aber: Die Einschätzung „Das Elektroauto wird in der Zukunft deutlich an Relevanz gewinnen“ hatte nach den eigenen Erfahrungen einen um 9,4 Prozent höheren Zustimmungswert als vorher. Auch Stefan Bongard, der sich seit 2011 mit dem Thema beschäftigt, ist überzeugt, dass es eine Frage der Zeit ist, bis sich das Elektroauto in Deutschland stärker durchsetzt – wie es auch dank Subventionierungen in Norwegen, Frankreich oder den Niederlanden längst der Fall sei. „Unsere Enkel werden sich irgendwann darüber lustig machen“, sagt er, „dass wir Tankstellen benutzen. Und mit Erdöl kann man auch bessere Dinge machen, als Brötchen zu holen und zur Arbeit zu fahren.“

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