Neustadt Großes Kino im Weingut
«Neustadt-Hambach.» Viva brasil, viva españa! „Von Spanien nach Südamerika“ ging die musikalische Reise beim Hambacher Musikfest am Samstagmittag im Weingut Naegele. Und in zwar weniger exotische, aber gleichermaßen aufregende Klangwelten entführten das „Mandelring Quartett“ und Hornist Uwe Tessmann am Sonntagmorgen im Weingut Müller-Kern.
Bekanntermaßen geht es in den Weingut-Konzerten in der Regel nicht ganz so „weinernst“ zu. Hier wird traditionell in lockerer Atmosphäre passend zum kulinarischen Beiprogramm „Gute-Laune-Musik“ serviert. Umso erstaunlicher der von musikalischem Tiefgang geprägte Auftakt am Samstag: Als eine der interessantesten Entdeckungen des diesjährigen Festivals entpuppte sich das 1. Streichquartett von Juan Crisóstomo de Arriaga. Einfach unglaublich: Bereits mit 17 Jahren hat der aufgrund seines frühreifen Talents als „spanischer Mozart“ bezeichnete Frühromantiker seine drei Quartette geschrieben – zwei Jahre später verstarb er an Tuberkulose. Was Luigi Boccherini, der Erfinder des mit zwei Celli besetzten Streichquintetts, mit Spanien zu tun hat? Die Antwort ist einfach: Nach Stationen in Lucca und Wien fand der italienische Vielschreiber in Madrid seine Wahlheimat. Ein regelrechtes Cello-Konzert absolviert Bernhard Schmidt im Streichquintett D-Dur op. 39/3, und man staunt über sein rasantes, bravourös-kratziges Pianissimo-Spiel im abschließenden Presto, mit dem er bis dato ungehörte Klangnuancen aus seinem Instrument kitzelt. Schlicht und einfach „Spain“ betitelt der amerikanische Jazzpianist Chick Corea seine Liebeserklärung an die iberische Halbinsel. Das Publikum freut sich unter anderem über den brillanten Part von Posaunist Jochen Scheerer, bevor mit brasilianischen Rhythmen ganz geschickt der Bogen nach Südamerika geschlagen wird. Dass die fünf frechen Jungs vom „Rennquintett“ auch leise und besinnliche Töne anschlagen können, zeigen sie im verträumten Schlafliedchen „Dormite Ninito“ in einem Arrangement von Torsten Maaß. Mit einer Bearbeitung von „Hauskomponist“ Ralf Rudolph ist man schließlich endgültig in Südamerika gelandet: „Brasil“ nennt Rudolph seine nicht ganz ernst gemeinte Version des Evergreens „The Girl from Ipanema“ von Carlos Antonio Jobin, dem Begründer des Bossa Nova. Diesmal nötigt er seine Mitstreiter dazu, die Instrumente beiseite zu legen, um, vereint im Chor, das Volkslied „Fuchs du hast die Gans gestohlen“ auf „Ipanemanesisch“ anzustimmen. Und wieder ist es Stargast Daniel Schnyder, der mit seinem überschäumenden Temperamt und seiner elektrisierenden Spielfreude für großes Kino im Weingut sorgt. Wunderbare Klangfarbenspiele zaubert der Schweizer Saxophonist gemeinsam mit dem herrlich facettenreich aufspielenden „Mandelring Quartett“ in seiner feurigen Bearbeitung des de Falla-Klassikers „Danza del fuego“ und in seinem abschließenden „Carmen“-Arrangement. „Auch wenn er heute nicht selbst spielt, zieht sich der Name Daniel Schnyder wie ein roter Faden durch unser Festivalprogramm“, erläuterte Sebastian Schmidt bei der Matinee im Weingut Müller-Kern. Diesmal verzichtet Schnyder zwar auf sein optische Markenzeichen „Rotes Sakko“, lässt sich aber vom Primarius nicht zweimal auf die Bühne bittet und erzählt von den einzelnen Schauplätzen seines 4. Streichquartetts „Great places“. Schnyder ist ein musikalischer Kosmopolit, ein Weltmusiker par excellence. Mit allen möglichen Völkern dieser Erde hat er schon musiziert. Unüberhörbar sind denn auch die arabischen und chinesischen Einflüsse mit ihren für unsere Ohren ungewohnten Tonsystemen, die Eingang in „Great places“ finden. Das erfordert ein Höchstmaß an Konzentration, und man staunt über das „Mandelring Quartett“, das nach dem am Abend zuvor stattgefundenen mehrstündigen Festkonzert erstaunlich frisch und ausgeruht die Bühne betritt und im Streichquartett op. 44/1 von Mendelssohn auf einen Primarius bauen darf, der mit ansteckender Wildheit dem musikalischem Göttersohn in medias res begegnet. Eine ungemein feinnervige Interpretation voll knisternder Energie! Nach diesem vorwärtsdrängenden und ungestümen Mendelssohn plätschert das Quartett für Horn und Streicher von François René Gebauer trotz des von Uwe Tessmann brillant ausgeführten und vom „Mandelring Quartett“ makellos begleiteten Soloparts eher langweilig, um nicht zu sagen oberflächlich dahin. Jetzt ahnen wir, warum „sein Leben im Nebel der Musikgeschichte“ verborgen blieb, wie die Musikwissenschaftlerin Eva Blaskewitz in ihrer Programmbroschüre so schön formulierte. „Idyll“ lautete das Motto der im großen und ganzen alles andere als idyllischen, sondern äußerst aufregenden und nervenkitzelnden Matinee. Allenfalls Glasunows Werk „Idyll“ lässt nach der Pause und dem reichlichen Genuss der legendären Himbeer-Bowle entsprechende Assoziationen aufkommen, etwa wenn das Mandelring Quartett in engster klanglicher Verschmelzung mit Hornist Uwe Tessmann unendliche Wärme verströmt und die tiefe russische Seele zum Erklingen bringt.