Neustadt Gerhard Wunder: „Menschliche Tragödien“

Einst in jüdischem Besitz: das Eckhaus in der Hohenzollernstraße 4, heute Stadthaus IV.
Einst in jüdischem Besitz: das Eckhaus in der Hohenzollernstraße 4, heute Stadthaus IV.

Im Mittelpunkt der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus am Samstag stehen in diesem Jahr jüdische Familien aus Neustadt. Der Historiker Gerhard Wunder war einer der ersten, der darüber geforscht hat.

Herr Wunder, Sie haben 2005 einen Aufsatz über die sogenannte Arisierung in Neustadt veröffentlicht und dabei auch all diejenigen namentlich genannt, die von den Zwangsverkäufen damals profitierten. Hat das Probleme gegeben?

Insgesamt gab es wenig Reaktionen, was dafür spricht, dass das Buch nicht in dem Maß gelesen wurde, wie die Verfasser sich das erhofft hatten. Ich kann mich vor allem an zwei persönliche Reaktionen erinnern. Die eine kam von einem Neustadter, dessen Eltern ein jüdisches Haus gekauft hatten, aber zu einem so guten Preis, dass die Klage der jüdischen Erben nach dem Krieg abgewiesen wurde. Trotzdem hat es dem Neustadter Nachkommen nicht gefallen, dass sein Name genannt wurde. Und die zweite Reaktion? Die zweite Reaktion war ein böser Brief eines Archivs, das ich genutzt hatte, damals mit Sondererlaubnis, weil die Akten noch nicht öffentlich zugänglich waren. Bei dem Beamten stieß auf Protest, dass ich die Namen der einheimischen Erwerber genannt habe. Welches Archiv war das? Das will ich jetzt nicht nennen, sonst kann man den Betreffenden identifizieren. Ich hätte also die Namen nicht nennen dürfen, obwohl sie nach den Restitutionsprozessen im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Rheinland-Pfalz veröffentlicht waren. Hatte die Auseinandersetzung dann weitere Konsequenzen? Nein. Aber es tut einem weh, wenn man sich bemüht, etwas sachlich darzustellen und dann unerwartet in eine böse Ecke gestellt wird. Sie haben die Restitutionsprozesse angesprochen. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse aus heutiger Sicht? Ich glaube, alles in allem war das Restitutionsverfahren akzeptabel. Die Prozesse stützten sich auf ein sehr bürokratisches Gesetzeswerk, das bis in letzte Einzelheiten versuchte, die Restitution zu regeln. Rückblickend weiß ich nicht, wie man es hätte besser machen sollen. Der Leiter der Restitutionskammer am Landgericht Frankenthal war ein Jude – übrigens aus Neustadt. Er war zum Protestantismus übergetreten und mit einer evangelischen Frau, ebenfalls aus Neustadt, verheiratet. Wer war das? Er hieß Altschüler, war vor 1933 Richter und wurde dann aus dem Amt entlassen. Die Kriegszeit hat er in Heidelberg überlebt. Später hatte er als Vorsitzender Richter die hiesigen Urteile in der Restitutionskammer zu verantworten. Sie schreiben in Ihrem Aufsatz auch, dass es bei dem Thema Restitution um ein wirtschaftliches, trockenes Thema geht, dass dahinter aber menschliche Tragödien standen. Viele der ursprünglichen jüdischen Eigentümer wurden, wie wir alle wissen, ermordet. Gab es auch Juden, die überlebten und zurückkehrten? Ja. Man muss ja in der NS-Zeit verschiedene Phasen unterscheiden. Bis 1938 wurden die Juden wirtschaftlich an den Rand der Existenz gedrängt, damit sie auswanderten. Viele haben das getan. Auch viele Neustadter Juden. So haben sie überlebt. Einige sind dann nach dem Krieg zurückgekommen. Können Sie ein Beispiel nennen? Unter anderem die Familie Mayer. Aber sie fühlten sich völlig vereinsamt, die Nachbarn haben weggeguckt und wollten nichts mit ihnen zu tun haben. Es muss völlig frustrierend gewesen sein, in der alten Heimat keine mitleidende Freunde zu finden. Familie Mayer ist dann auch schnell wieder weg, sie ist nach Israel. In einigen Fällen gab es kein Restitutionsverfahren. Beispielsweise bei einem markanten Gebäude in der Hauptstraße, das gerade umgebaut wird: das ehemalige jüdische Kaufhaus Wronker. Ja, das ist richtig. Es gibt im Übrigen viele markante Gebäude, die früher in jüdischer Hand waren. Zum Beispiel Ecke Maximilianstraße/Karl-Helfferich-Straße oder das Eckhaus in der Hohenzollernstraße 4, in dem heute das Stadthaus 4 ist. Das Wronkersche Haus wurde 1894 gebaut, im frühen Jugendstil. In den 30er Jahre hat der Eigentümer, Emil Wronker, es an die Familie Vetter verkauft. Nach dem Krieg gab es vor Gericht einen Vergleich. Das gab es oft. Was da genau drin stand, weiß man nicht. Auf die Geschichte des Hauses wurde ja bis vor Kurzem auch mit einer großen Fassadenfolie hingewiesen ... Ja, aber da waren Fehler drin. Der hiesige Besitzer, der mit Vorname Emil hieß, wurde verwechselt mit Simon Wronker, einem Bruder von Hermann Wronker. Dieser führte in Frankfurt ein großes Warenhaus und wurde in Auschwitz ermordet. Emil Wronker dagegen ist 1940 in Berlin gestorben. Wie, weiß ich nicht. Man muss in der Darstellung historischer Fakten genau sein. Herr Wunder, noch eine andere Frage: Wie werden eigentlich die Ergebnisse Ihrer Arbeit rezipiert? Oder, konkret gefragt, haben Sie schon einmal darüber referiert, beispielsweise in einer Schule? Ich habe den Eindruck, dass das von der Jugend kaum rezipiert wird. Ich bin aber kein Lehrer, deshalb maße ich mir auch kein abschließendes Urteil an. Wer sich sehr um die Rezeption bemüht, ist Herr Dittus, der Vorsitzende des Fördervereins Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus. Er bindet auch die Schulen mit ein. Info —Die Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus findet am Samstag, 27. Januar, 18 Uhr, in der Stiftskirche statt. Sie wird von Oberbürgermeister Marc Weigel und Neustadter Schülern gestaltet. —Gerhard Wunder referiert über das Thema „Arisierung“ am Mittwoch, 21. Februar, 19 Uhr, in der Gedenkstätte, Quartier Hornbach. —Weitere Veranstaltungen: Wanderausstellung „Jüdische Lebenswelten“, Stiftskirche, 29. Januar, 18 Uhr, bis 25. Februar; Lesung: Die „braune“ Pest am Beispiel von Mußbach, mit Mundartdichter Albert H. Keil, Sonntag, 4. Februar, 14.30 Uhr, Gedenkstätte Quartier Hornbach. |

Gerhard Wunder
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