Neustadt Ganz besondere Zeit-Geschichte

Jahrzehntelang hat Roland Bub aus Haßloch die Uhr mit der Namensgravur und der Seriennummer 933422 gehütet wie einen kleinen Schatz. Irgendwann nach 1945 hat sie der heute 80-Jährige von einem mittlerweile verstorbenen Kollegen geschenkt bekommen, der mit ihm zusammen bei der früheren Firma Brauch arbeitete. „Ich hab’ da was“, hatte ihm der Mann eines Tages erzählt, erinnert sich Bub, und ihm die schmale, rauchgeschwärzte Uhr gezeigt, „aber ich brauch’ des net.“ Woher sein Kollege sie hatte – das hat er allerdings nie erfahren. Roland Bub wusste gleich, dass es sich um ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg handelte, das wohl einmal einem Soldaten der Alliierten gehört hatte: Das legten die Brandspuren und der eingravierte Name „Donal Laird“ nahe. Allerdings vermutete Bub lange Jahre, dass dieser Mann wohl ein Besatzungsmitglied jenes Flugzeugs war, das 1943 im Haßlocher Burgweg abgestürzt war. Dieses Unglück hat er noch deutlich in Erinnerung: „Damals war ich neun Jahre alt. Wir Jungen sind hingerannt, haben geguckt und nach Bombensplittern gesucht. Und wir haben verbrannte Leichen gesehen.“ Eindrücke, die bis heute nicht verblasst sind. „Eigentlich müsste man über den Besitzer der Uhr etwa herausbekommen können“, hat sich Bub später immer mal wieder gedacht – aber wo ansetzen und suchen? Und so lag die alte Uhr mit den Brandspuren viele Jahre im Schrank. Da wäre sie möglicherweise auch noch weitere Jahre verwahrt geblieben. Aber als Roland Bub am 7. März dieses Jahres in der RHEINPFALZ von den Flugzeugwrack-Forschern las, die einen im August 1943 bei Haßloch abgestürzten deutschen Nachtjäger vom Typ Messerschmitt Bf 110 aufspüren wollen, wusste er: Wenn jemand Licht ins Dunkel bringen konnte, dann die „Arbeitsgruppe Vermisstenforschung“ um Uwe Benkel aus Heltersberg. Schließlich haben die 40 Mitarbeiter in 25 Jahren allein in Rheinland-Pfalz und im Saarland über 400 Absturzstellen von Flugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg lokalisiert, 40 alleine in der Pfalz. Nach 140 verschollenen Flugzeugen verschiedener Nationalitäten ist gegraben worden, und dabei wurden die sterblichen Überreste von 45 Besatzungsmitgliedern geborgen, die fast alle identifiziert werden konnten. In vielen Fällen konnten dank dieser Arbeit endlich Lücken in Familienchroniken geschlossen werden. Als die Vermisstenforscher dann kürzlich bei einer Veranstaltung in Rödersheim-Gronau über ihr Engagement berichteten, fuhr Roland Bub hin, zeigte ihnen die Uhr und erzählte, was er von ihr wusste. Für Uwe Benkel war das eine kleine Sensation. Seine Arbeitsgruppe ist einem weltweiten Netzwerk angeschlossen, über das viele Informationen über Flugzeuge und Besatzungen ausgetauscht werden. Außerdem stehen Benkel und seine Mitstreiter mit Ahnenforschern auch in den USA in Verbindung. Dank Internet-Recherche und Facebook kamen schnell einige Informationen zusammen. Und heute kennen wir nicht nur den Namen des Soldaten, dem die Uhr gehört hat, sondern auch einige Daten aus seinem Leben. Und wir wissen sogar, wie Donal Laird ausgesehen hat. Der schönste Erfolg für die Vermisstenforscher freilich war, dass es glückte, mit Angehörigen des Sergeants in Kalifornien Kontakt aufzunehmen. Für die Familie von Donal H. Laird – sein mit H. abgekürzter zweiter Vorname ist nicht eingraviert worden – galt der junge Mann bisher als „vermisst“: Über sein Schicksal war nichts weiter bekannt. Deshalb sorgte der überraschende Anruf aus Deutschland bei den Angehörigen, der hochbetagten Witwe seines inzwischen verstorbenen Bruders und deren drei Kindern, natürlich für große Aufregung und Freude, berichtet Benkel. Den pfälzischen Vermisstenforschern erleichterte ein glücklicher Umstand die Recherche: Donal H. Laird ist ein sehr seltener Name. „Hätte er John Miller geheißen, wäre es sicherlich schwieriger gewesen“, sagt Benkel. Zusammen mit Peter Berkel aus Schifferstadt, der sich in unserer Region für die „Arbeitsgruppe Vermisstenforschung“ engagiert, hat er zusammengetragen, was bisher über Laird und den Absturz bekannt ist. Donal H. Laird war gerade mal 20 Jahre alt, als er bei dem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Am 25. April 1924 war er in San Luis Obispo, einer Stadt in Kalifornien mit heute 45.000 Einwohnern, zur Welt gekommen. Die aus Familienbesitz stammende Uhr bekam er 1940 mit 16 Jahren als Anerkennung für seinen Highschool-Abschluss geschenkt. 1943 kam Laird zur US-Luftwaffe und wurde als Staff Sergeant der 91. Bomberstaffel (91st Bomb Group), 323. Schwadron, zugeteilt, die den Namen „Strictly GI“ trug. Diese Bombergruppe war 1944 auch in Südwestdeutschland im Einsatz. Aus Tagesberichten der 91. Bombergruppe, die im Internet zugänglich sind, geht hervor, dass am 9. September 1944 Ludwigshafen mit insgesamt zwölf Flugzeugen angegriffen wurde. Alle kehrten wohlbehalten zurück, bis auf den von Second Lieutenant Neils C. Jensen geflogenen Bomber des Typs B 17-65-Bo, der laut Tagesbericht „von der Flak so schwer beschädigt wurde, dass er nicht mehr zurückkam“. Neun Mann waren an Bord, darunter als „Ball Turret Gunner“ (Kugelturmschütze) Donal H. Laird. Bis auf den Piloten Jensen und ein weiteres Besatzungsmitglied flog die Crew ihren ersten Einsatz. Fünf Soldaten – auch Laird – kamen bei dem Absturz ums Leben, der laut Uwe Benkel in der Datenbank der im Zweiten Weltkrieg verlorenen Flugzeuge noch nicht dokumentiert war, vier wurden gefangengenommen. Wo genau sich die Absturzstelle befindet, ist nicht bekannt, aber bei der Suche hoffen die Forscher auf die Mithilfe von Zeit- oder Augenzeugen. Der Bomber muss zwischen Haßloch und Lachen-Speyerdorf, möglicherweise in der Nähe des Speyerdorfer Flugplatzes, heruntergekommen sein. Benkel und Berkel vermuten, dass sich der schwere B-17-Bomber (Beiname: „Fliegende Festung“) tief in den Erdboden gebohrt haben dürfte. Besonders interessant ist die Geschichte der Uhr, die bei dem Ende des 19. Jahrhunderts führenden Hersteller Elgin in Chicago produziert wurde. Die eingestanzte Seriennummer 933422 ist eine Art Geburtsurkunde: Laut dem zugehörigen Datenblatt wurde sie 1882 angefertigt. Möglicherweise wird die Uhr, die für die Angehörigen von Donal H. Laird ein ganz besonderes Erinnerungsstück ist, nach über 70 Jahren wieder in ihre Heimat zurückkehren. Denn wenn dessen Familie Interesse hat, will Roland Bub die Uhr gerne hergeben: „Das ist doch selbstverständlich“, sagt der Haßlocher. „Ich würde mich freuen, wenn sie wieder dorthin kommt, wo sie hingehört.“

x