Neustadt „Es fehlt der Popometer“

Auf einer 210-Grad-Leinwand ist die Rennstrecke von Brands Hatch zu sehen: Kommt der Pilot von der Piste ab und fährt er über di
Auf einer 210-Grad-Leinwand ist die Rennstrecke von Brands Hatch zu sehen: Kommt der Pilot von der Piste ab und fährt er über die Randsteine, rattert das Lenkrad heftig.

«Neustadt.»Doch kann ich, denn ich befinde mich nur virtuell auf dem alten Grand-Prix-Kurs im Südosten Englands. Tatsächlich bin ich im Gebäude in der Nachtweide 35 in Neustadt an der Weinstraße. Seit drei Jahren hat das Team Rosberg dort einen Simulator stehen, in dem sich die beiden DTM-Piloten René Rast und Jamie Green auf ihre nächsten Rennen vorbereiten. Nun darf ich ihn auch mal ausprobieren. „Wir haben Dir den Kurs von Brands Hatch ausgesucht“, hat Rast mit einem breiten Grinsen kurz vor dem Einsteigen gesagt und mir einen aufmunternden Klaps auf die Schulter gegeben, „der Grand-Prix-Kurs ist richtig anspruchsvoll“. Das kann ja lustig werden. Arno Zensen kann sich einen flotten Spruch ebenfalls nicht verkneifen: „Jeder Einschlag in die Leitplanke kostet 5000 Euro.“ So spricht der Teamchef, der sich immer Sorgen um das Budget macht. Plötzlich ruckelt das Bild auf der 210-Grad-Leinwand. „Wir sind bereit“, höre ich die Stimme von Johannes Baumgärtner auf dem Kopfhörer. Dann folgen weitere Instruktionen vom Dateningenieur: „Du kannst drei Runden fahren. Die erste ist zum Gewöhnen an Gas und Bremse sowie zum Streckekennenlernen.“ Vorsichtig gebe ich Gas, der Motor kreischt infernalisch. Auf dem Programm sind die Daten des neuen Motors hinterlegt. Statt des 19 Jahre alten Achtzylinderaggregats mit etwa 500 PS steckt künftig ein moderner, aufgeladener Vierzylinder unter der Motorhaube. Leistung etwa 620 PS. Erster Gang, kurz am Paddel rechts hinterm Lenkrad ziehen, zweiter Gang, dritter Gang. Flott geht’s auf die erste Rechtskurve zu. Sicherheitshalber lupfe ich den Gasfuß. Auf dem Weg runter in die Senke jedoch wieder Vollgas. Vierter Gang. Doch wie geht’s weiter? Nach der kleinen Streckenskizze auf der Lenkradnabe müsste wieder eine Rechtskurve kommen. Doch wann beginnt sie? Also erst einmal bremsen. Es bewegt sich nichts mehr. Ich erinnere mich. „Die Bremsen sind brutal“, hatte Florian Rinkes, Rasts Renningenieur, gesagt. Aber im Stillstand kann ich mich wenigstens orientieren, wo’s lang geht. Wieder erster Gang, zweiter, dritter. Linkskurve. Vierter, bremsen und links hinaus in den Wald auf die lange Gerade. Doch entspannen kann ich mich nicht. Schließlich schalte ich bis in den sechsten Gang hoch. Damit bin ich schneller als 200 Stundenkilometer. Die Straße geht runter und wieder hoch. Vorne zeichnet sich die nächste Kurve ab. Es geht wieder nach rechts. Nach Gefühl trete ich kräftig aufs Bremspedal, schalte links die Gänge runter. 50 Meter vor dem Kurveneingang stehe ich erneut. Die Keramikbremsen in Kombination mit der ausgefeilten Aerodynamik sorgen für eine ungeheure Verzögerung. Nach einer Rechts-links-Kombination kommt schon die Start- und Zielgerade des 3,908 Kilometer langen Kurses. Dank der groben Streckenkenntnis läuft die zweite Runde flüssiger. Und ich werde übermütiger. Das eine oder andere Mal fahre ich über die Curbs, die Randsteine. Signalisiert wird mir das mit heftigem Rattern im Lenkrad. Ab und zu pflüge ich über die Wiese neben dem Asphaltband. Von der Perfektion, mit der der Ex-DTM-Champion René Rast seine Runden abspult, bin ich weit weg. „Von den Rundenzeiten sind wir identisch“, sagt der Rennfahrer, „vom Gefühl her nicht. Es fehlt der Popometer.“ Es fehlt daran, mit meinem Gesäß Fahrzeugverhalten oder Streckenbeschaffenheit zu fühlen. Trotzdem gibt auch Kollege Jamie Green, der sich selbst als Old-Fashion-Typ bezeichnet, zu, dass die Fahrten im Simulator immer wichtiger werden. „Es ist nicht das wichtigste Werkzeug eines Teams, aber es kann sehr hilfreich sein“, sagt der erfahrene Engländer. Chef Zensen ergänzt: „Jeder Testtag, den man sich auf der Strecke spart, ist bares Geld.“ Mit Vollgas schieße ich noch mal über die Start- und Zielgerade. Zwar kenne ich mittlerweile den Streckenverlauf sowie die Bremspunkte, trotzdem klappt in Runde drei auch noch nicht alles. „Du bist mit viel zu wenig Drehzahl gefahren“, hat mir Ingenieur Rinkes hinterher gesagt. Vielleicht konnte ich deswegen die Fahrten einigermaßen genießen, habe auch die Rettungskräfte erkannt, die am Streckenrand postiert sind. Plötzlich bleibt das Bild vor mir stehen. „Das war’s“, höre ich aus dem Kopfhörer. „Du kannst aussteigen.“ Warum? Ich hätte noch unglaublich viel Lust. Und schließlich ist mir nicht schlecht geworden ...

Nur wenig entspannt: RHEINPFALZ-Autor Klaus-Eckhard Jost ist als Pilot mit über 200 Sachen im Simulator unterwegs.
Nur wenig entspannt: RHEINPFALZ-Autor Klaus-Eckhard Jost ist als Pilot mit über 200 Sachen im Simulator unterwegs.
x