Neustadt Eine Hymne an die Macht der Musik

Eindrucksvolles Weihnachtskonzert: die routiniert auftrumpfende Liedertafel Neustadt und die Kammerphilharmonie Weinheim.
Eindrucksvolles Weihnachtskonzert: die routiniert auftrumpfende Liedertafel Neustadt und die Kammerphilharmonie Weinheim.

«Neustadt.»Nicht das warme Licht des Erlösers, sondern die Kriegsfackel Alexanders des Großen leuchtete beim Weihnachtskonzert der Liedertafel im Saalbau. Als nicht ganz so bedrohlich wie erwartet entpuppte sich die Aufführung von Händels Oratorium „Alexanderfest“ unter dem umsichtigen Dirigat von Hans Jochen Braunstein, mit dem die Liedertafel und die Kammerphilharmonie Weinheim gemäß dem Untertitel einmal mehr eindrucksvoll „Die Macht der Musik“ demonstrierten.

„Das Alexanderfest“, „Die Macht der Musik“, „Ode an die Heilige Cäcilia“ – so verwirrend wie die Vielfalt der Titel dieses 1737 uraufgeführten, sich zwischen Oper und Oratorium bewegenden Stücks ist seine Handlung. Genauer gesagt: Es gibt sie eigentlich nicht. Keine Rollenverteilungen, kein Plot, keine Dramaturgie. Es ist alleine die Macht der Musik, dargestellt in einer mehr oder weniger zusammenhanglosen Aneinanderreihung herrlich eingängiger Ohrwürmer, die trotz erstmaligen Hörens dank der routiniert auftrumpfenden Liedertafel in jeder Sekunde den Eindruck vollkommener Vertrautheit und Sicherheit vermittelt. Es ist, als hätte man diese Musik tausendmal gehört. Händels Alexanderfest zählt zwar eher zu den relativ leichten, auch für Laienchöre machbaren Chorwerken, jedoch steckt auch hier die Tücke im Detail. Dirigent Braunstein kennt sie wie kaum ein anderer, hat er mit diesem Werk doch vor fast 20 Jahren einen von der Händel-Gesellschaft ausgerufenen Dirigierwettbewerb gewonnen, was ihn den Händel-Förderpreis der Stadt Halle einhandelte. Somit befand sich das im 18. und 19. Jahrhundert häufig aufgeführte Werk in besten Händen. Es begann mit der monumentalen dreiteiligen Orchestereinleitung durch die Kammerphilharmonie Weinheim, die zwar auf modernen Instrumenten musizierte, aber die Gebote der historischen Aufführungspraxis berücksichtigte. Mit der Choreinlage „Selig, selig, selig Paar“, ein Loblied an Alexander und seine Geliebte Thais, eröffnete die Liedertafel das 16-teilige barocke Schlagerfeuerwerk. Wobei der Begriff „Barock“ klanglich gesehen wenig zutreffend erscheint, denn die von der Liedertafel verwendete Mozart-Fassung ließ starke Assoziationen an die Klangwelten der Wiener Klassik aufkommen. Historisch orientiertes, auf klangfarbliche Authentizität bedachtes Musizieren interessierte Mozart offensichtlich herzlich wenig. Einen kleinen Vorgeschmack auf den nächsten Herrenweinabend der Liedertafel und eine perfekte Reminiszenz an die Weinmetropole gaben Solo-Bariton Michael Roman und der Chor mit den Trinkliedern „Bacchus, ewig jung und schön“ sowie „Bacchus’ Schlauch ist unser Erbteil“. Und wenn da von der Tücke im Detail die Rede sein soll, fallen vor allem die teils erschreckend hoch gesetzten Sopran- und Tenoreinsätze auf. Zum Beispiel, wenn der Chor – Nomen est omen – das „Hohe Lied“ anstimmt. Respekt vor den hervorragend besetzten Frauenregistern, die von Braunstein sicher und wackelfrei durch die Partitur geführt wurden. Da hatten es die Herren der Liedertafel erheblich schwerer, vor allem das ohnehin schwach besetzte und kurz vor der Aufführung aufgrund von Krankheitsfällen zusätzlich ausgedünnte Tenorregister. Hut ab: Wie es die verbliebenen vier Herren dennoch schafften, einigermaßen die Klangbalance zu wahren, bleibt ein Rätsel. Alexander der Große feiert seine Siege über die Perser und steht kurz vor der Zerstörung des Palastes von Persepolis. Für sehr viel Ruhe im Rausch des Festgelages zu dessen Ehren sorgte der wunderbar deutlich deklamierende Tenor Martin Steffan in seiner Funktion als Erzähler, der meist in der Rolle des Timotheus in seinen Solo-Arien die Macht der Musik demonstriert. Den Höhepunkt des Abends aber gestaltete die kurzfristig für die erkrankte Sopranistin Eva-Maria Hofheinz eingesprungene Koloratursopranistin Stefanie Dasch mit ihrer nuancenreich wiedergegebenen Arie „Töne sanft, du lydisch Brautlied“. Hat man jemals innerhalb einer Nummer so viele Varianten des musikalischen Seufzers gehört? Beide, sowohl Stefanie Dasch als auch Tenor Martin Steffan, überzeugten weniger durch raumfüllendes Klangvolumen, sondern vor allem mittels Ausdrucktiefe und Gestaltungskraft. Rein klanglich übertrumpfte Michael Roman mit seinem kernig-markanten Bariton seine Mitstreiter, offenkundig vor allem in den beiden aufeinanderfolgenden Arien „Gib Rach’! Heult alles laut“ und „Ha! Welche bleiche Schar“, mit denen wenigstens etwas Dramatik und Bewegung in die „nicht vorhandene Handlung“ kam. Einen etwas aggressiveren Zugriff hätte man dagegen von Steffan in der wenig wütend artikulierten Arie „Es jauchzen die Krieger voll trunk’ner Wut“ gewünscht. Halleluja, Händels „Messias“ lässt grüßen: Und immer wieder waren es die prachtvoll strahlenden Choreinsätze, die die zweistündige Aufführung zu einem ungetrübten Hörerlebnis machten. Auch hier leitete Braunstein sicher durch die Partitur, angefangen mit den rhythmisch akkurat gebotenen Chorfugen, mit denen sich Händel neben seinen Fähigkeiten als Erfinder eingängiger Ohrwürmer in England gleichzeitig als vielgeachteter Kontrapunktiker profilierte. Und am Ende fragt man sich: Warum wird das Werk gegenüber früheren Zeiten heutzutage so selten aufgeführt? Dank an die Liedertafel, die ihre Alexanderfest-Partitur nach einem 200 Jahre währenden Dornröschenschlaf aus dem Archiv zog und mit ihrer herrlich erfrischenden Aufführung vom Staub der Zeit befreite.

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