Über den Kirchturm hinaus Ein Augenblick Aufmerksamkeit

Heike Sigmund
Heike Sigmund

Gedenken an NS-Opfer zum Tag der Befreiung

Ich gehe mit großen Schritten durch die Fußgängerzone, als vor mir etwas auf dem Boden glänzt. Eine kleine Messingplatte, nicht groß, zehn auf zehn Zentimeter. Sie unterbricht unvorbereitet meinen Lauf.

Ich bleibe stehen, beuge mich nach vorne, um lesen zu können, was dort geschrieben steht. Es ist ein Stolperstein. Einer von vielen, die der Künstler Gunter Demnig seit 30 Jahren verlegt. Eine zunächst unscheinbare Messingplatte mit einem Namen und einigen Eckdaten dazu. Nicht mehr. Und doch, es bleiben immer wieder Menschen stehen, lesen den Namen, der dort eingraviert ist.

55 Stück

53 Stolpersteine gibt es in Neustadt und den umliegenden Dörfern, 2002 wurden die ersten 41 Steine verlegt. Seit ich begonnen habe, genauer auf diese Gedenksteine zu achten, sehe ich sie in der ganzen Stadt verteilt. Jeder einzelne erinnert an einen Menschen, der hier gelebt oder gearbeitet hat und der in der Zeit des Nationalsozialismus verschleppt und getötet worden ist.

Heute, am 27. Januar, gedenken wir der Opfer des Nationalsozialismus und der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 1945. Die Flaggen in vielen öffentlichen Gebäuden wehen an diesem Tag auf Halbmast.

Ich schaue auf die Messingplatte, lese den eingravierten Namen und schenke diesem Menschen einen Augenblick meiner Aufmerksamkeit. Und ich merke: Auch wenn ich diesen Menschen persönlich nicht kannte, berührt seine Geschichte unvorbereitet mein Herz. Mit geschärftem Blick gehe ich weiter, mit geschärftem Blick und wachem Verstand.

Die Autorin

Heike Sigmund ist Pfarrerin in der protestantischen Martin-Luther-Kirchengemeinde Neustadt.

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