Neustadt „Die Tafel ist mein Leben“

Zweimal die Woche warten sie vor dem Ladenlokal der Neustadter „Tafel“ auf kostenlose Lebensmittel: An die 150 Menschen jeden Alters und unterschiedlicher Nationalität. Menschen, die Geld vom Staat erhalten und trotzdem die „Tafel“ brauchen, um über die Runden zu kommen. Manche packen als ehrenamtliche Helfer selbst mit an. Wie der 72-jährige M. seit langer Zeit.

Durch ihn hat die Neustadter Tafel ein Gesicht. Oft ein freundliches, mal ein strenges, vor allem aber ein vertrautes. Seit 2002 ist der 72-Jährige Kunde und Helfer zugleich. Seit 2007 arbeitet er im Vorstand mit. Vor allem um die Samstagsschicht hatte er sich bislang gekümmert, er koordinierte den Einsatz der Freiwilligen, war selbst vor Ort und sorgte bisweilen für Ruhe unter den Wartenden. Sprach mit ihnen, hörte ihre Geschichten an, schloss manche Freundschaft. „Die Tafel ist mein Leben“, sagt der gelernte Elektroinstallateur, der in Baden-Württemberg aufgewachsen ist und seit 1975 in Neustadt lebt. Seinen Namen will er nicht nennen, die Abkürzung M. ist ihm lieber. Die 860 Euro Rente im Monat, die er nach 45 Arbeitsjahren erhält, reichen für ihn und seine Frau kaum aus: „Wir brauchen die Tafel.“ Um für einen Obolus von zwei Euro möglichst Brot, Milch, Butter und Gemüse zu erstehen, nutzt er die Ausgabetage Mittwoch und Samstag. Nicht immer stimmt für ihn der Mix. Brot und Gemüse gebe es meist genug, an Milchprodukten aber mangele es, und im Januar und Februar gebe es viele Süßigkeiten. Eine Wahl haben „Tafel“-Kunden wie M. nicht. Sie nehmen, was sie kriegen. Was rund 40 Bäcker, Metzger, Landwirte und Discounter in Neustadt und Umgebung übrig haben. Lebensmittel im Wert von 20 Euro erhält im Schnitt jeder pro Ausgabetag, der seine Bedürftigkeit mittels Ausweis belegen kann. 450 Ausweise sind derzeit bei der Neustadter „Tafel“ registriert. „Wer das Angebot aber konsequent nutzt und planvoll mit den Lebensmitteln umgeht, der kann seine Situation spürbar entlasten“, sagt Franz Krätschmer, einer der „Tafel“-Gründer. „Die tatsächlichen Probleme der Menschen zu lösen, das war nie unser Anliegen. Wir können sie nur lindern. Es ist doch vielmehr oberste Pflicht eines Sozialstaats, für Bedingungen zu sorgen, dass jeder Bürger würdig leben kann.“ Dass in den 20 Jahren seit Gründung der ersten „Tafeln“ in Deutschland diese Art der Nothilfe nicht überflüssig geworden ist, sondern es mittlerweile an die 1000 „Tafeln“ gibt, hält auch Dekan Armin Jung als Vorsitzender der Neustadter „Tafel“ für bedenklich: „Es ist doch ein Skandal, dass auch berufstätige Menschen darauf angewiesen sind.“ Die „Tafeln“ dürften deshalb nicht den Druck auf die Politik mindern. Trotzdem sei es positiv, dass durch die „Tafeln“ der tägliche Produktionsüberschuss sinnvoll verteilt werde. Über 50 Unterstützer helfen der „Tafel“ durch Spenden. Rückläufige Tendenzen sind Jung zufolge weder bei den Lebensmittelspenden zu beobachten noch bei den Geldspenden, mit Hilfe derer die Ladenlokale in Neustadt und Haßloch sowie drei Transporter unterhalten werden. In zwölf Jahren ebenfalls nicht nachgelassen habe das Helferinteresse; „Tafel“-Kunden seien die wenigsten der insgesamt 80 Ehrenamtlichen. Viele von ihnen sind seit Jahren dabei. M. aber bald nicht mehr – seine Gesundheit lässt es nicht mehr zu. Kunde indes bleibt er. Denn wie gesagt: „Die Tafel ist doch mein Leben.“

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