Neustadt Die Stunde der Poeten
Neustadt. Die hochgelobten Filme, die auf der Berlinale den „Bären“ gewinnen, führen in den hiesigen Kinos meist ein stiefmütterliches Dasein. Zu „cineastisch“ und abgehoben fürs große Publikum, kommen sie manchmal sogar überhaupt nicht in die Kino. Nicht so 2014: Wes Andersons Tragikomödie „Grand Budapest Hotel“ und Richard Linklaters dreistündiges Jugenddrama „Boyhood“ fanden unerwartet viel Zuschauer. Den Bären für den besten Film heimste jedoch ein chinesische Thriller ein, der jetzt auch in Neustadt zu sehen ist – in der neuen Staffel der Kunstfilmreihe „Arthouse“ des Roxy-Kinos.
In , der am 20. Oktober im „Arthouse“ läuft, geht es um gefundene Leichenteile, einen Kommissar, der über dem ungelösten Fall verzweifelt, und um eine Femme fatale, in die er sich verliebt. Von dem Label „Neo-Noir“, das man dem Film aufgedrückt hat, sollte man sich nicht abschrecken lassen: Es handelt sich um eine klassische Krimigeschichte, die in poetischen und stimmungsvollen Bildern schwelgt und darüber hinaus durch ihren Schauplatz, eine heruntergekommene Provinzstadt, viel von den Verwerfungen des modernen China erzählt. Das vielgerühmte historische Liebesdrama von Dominik Graf, in dem Friedrich Schillers – allerdings nicht hundertprozentig verbürgte – Ménage à trois mit zwei adeligen Schwestern geschildert wird, ging dagegen auf der Berlinale leer aus. Dafür wurde der Film kürzlich als deutscher Beitrag in die Vorauswahl für den Auslandsoscar geschickt. Die Oscarnominierungen der Academy werden erst am 15. Januar 2015 bekannt gegeben. Im Neustadter Kino ist der Film aber schon am 13. Oktober zu sehen. Und noch zwei weitere Schwestern machen im Kino Krisen durch: im Familiendrama , mit dem die neue „Arthouse“-Staffel am kommenden Montag, 8. September, startet, treffen sie sich nach vielen Jahren am Sterbebett des Vaters, eines knorrigen Patriarchen. Das feinfühlige Drama, das vor imposantem Alpenpanorama spielt, wurde in fast allen Kategorien für den österreichischen Filmpreis nominiert. Gerne ergehen sich Filmemacher, wie etwa in „Die geliebten Schwestern“, in Spekulationen über berühmte Zeitgenossen. Bei Vivian Maier, die heute als eine der wichtigsten Fotografinnen der USA gilt, war es umgekehrt. Zu Lebzeiten völlig unbekannt, wurde ein Chicagoer Hobby-Historiker durch Zufall auf sie aufmerksam. Über seine Recherche nach dieser rätselhaften Frau, in deren Nachlass sich hunderttausende originelle Straßenfotografien fanden, hat ihr Entdecker den Dokumentarfilm gedreht, der am 6. Oktober im „Arthouse“ laufen wird. Violette Leduc dagegen ist zwar keine unbekannte, aber eine fast vergessene Schriftstellerin. In der Filmbio (am 15. September) wird sie als gequälte Künstlerin skizziert, die durch die drastische Schilderung weiblicher Sexualität skandalisierte und die von Simone de Beauvoir gefördert wurde: ein interessanter Seitenblick auf die Pariser Bohème jener Epoche. Wie ein Kindermärchen kommt stattdessen (22. September) daher, in dem das Leben des Flugzeugingenieurs Jiro Horikoshi, der im Zweiten Weltkrieg Flugzeuge für die japanische Luftwaffe entwarf, in zauberhaften Bildern erzählt wird. Das Animé, der größte japanische Kinohit im Jahre 2013, ist der vermutlich letzte Film des mittlerweile 73-jährigen Meisterregisseurs Hayao Miyazaki. Ewig jung ist aber Shakespeare. Besonders im angelsächsischen Sprachraum scheint jeder Regisseur den Ehrgeiz zu haben, irgendwann einen Shakespeare-Film zu drehen. Regisseur Joss Whedon hat sich während einer Produktionspause seines „Avengers“-Spektakels eine Auszeit von den Comic-Superhelden gegönnt und, in seiner eigenen kalifornischen Villa, Shakespeares Komödie verfilmt: in Schwarz-Weiß, mit Originaldialog, aber in heutigen Kulissen. Eine charmante Stilübung. Ob sie beim Neustadter Publikum ankommt, wird sich am 29. September zeigen. Und weiter geht′s mit den Dichtern: „Wie begrüßt ich so oft mit Staunen die Fluten des Rheinstroms, wenn ich, reisend nach meinem Geschäft, ihm wieder mich nahte! Immer schien er mir groß und erhob mir Sinn und Gemüte“, schwärmte einst Goethe. Der neueste „Von-Oben“-Dokumentarfilm porträtiert den Fluss über 1200 Kilometer, von den Quellen am Gotthard bis zur Deltamündung in die Nordsee. Die Faszination für die Vogelperspektive, ermöglicht durch Hubschrauber, die mit hochauflösenden Kameras ausgestattet sind, scheint ungebrochen. Der Film läuft am 27. Oktober in der „Arthouse“-Reihe – bis dahin läuft noch viel Wasser den Rhein hinunter.