Neustadt Die Hoffnung endet am Stacheldraht

Als Intermezzi zwischen den literarischen Angeboten steuerte Tine Duffing performative Szenen bei.
Als Intermezzi zwischen den literarischen Angeboten steuerte Tine Duffing performative Szenen bei.

«Neustadt». Vier Kurzgeschichten von David Emling, Usch Kiausch, Ute Kliewer und Christiane Hartmann bildeten am Donnerstag das Rückgrat der ersten Veranstaltung des Neustadter Literatennetzwerks „Textur“ in diesem Jahr. Dazu gab’s im proppenvollen Weinlokal „Liebstöckl“ auch noch Gedichte von Katharina Dück, eine mehrteilige Performance von Tine Duffing und Bilder von Hans Gareis.

Um letztere wirklich zu würdigen, fehlte allerdings schlichtweg der Platz – oder wahlweise ein Fernstecher. Aber nicht nur die Zuschauer fanden sich bewegungstechnisch etwas eingeschränkt, auch die Vortragenden traten sich im winzigen Bühnenbereich gegenseitig fast in die Hacken. Der Stimmung tat das aber keinen Abbruch. Auch wenn die Veranstaltung schon ein bisschen brauchte, um in die Gänge zu kommen. Als erste Kurzgeschichte trug dann David Emling „Ferner Schlaf“ vor, die Geschichte eines Vaters, der sich – warum wird nicht ganz klar – von seinem Sohn entfremdet hat und nun in einer fremden Stadt kurz davor steht, dessen Witwe zu treffen. Dazu kommt es aber nicht, weil er die Furcht vor der Begegnung in einer Bar ertränkt und verplaudert. Die von einer Short Story Raymond Carvers („Das Abteil“) inspirierte Erzählung hat einen direkten Neustadt-Bezug, denn Emling, der in Bellheim lebt, schrieb sie in seinen Mittagspausen als Verbandsreferent beim hier ansässigen AWO-Bezirksverband Pfalz. Die bereits auf der Online-Plattform „smartstorys“ veröffentlichte Geschichte soll in der nächsten Ausgabe der von „Textur“-Mitglied Wolfgang Allinger herausgegebenen Literaturzeitschrift „Wortschau“ auch in gedruckter Form erscheinen. Einen weit weniger ernsthaften Ton schlug danach Usch Kiausch mit ihrer neuen Kurzgeschichte „Zeilensprünge“ an, der von eigenen Erfahrungen inspirierten, urkomischen Schilderung eines Leseabends in einem dörflichen Gemeindezentrum, bei dem schief läuft, was nur schief laufen kann. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist dabei sowohl bei den Vortragenden als auch bei ihrem Publikum fast so breit wie der Atlantik. Das auf Youtube hochgeladene Video des unfreiwilligen Satire-Programms wird dann aber zum vielgeklickten Hit, und so schafft es das Dorf zu guter Letzt sogar ins Fernsehen. „Ein Happy End wie es im Buche steht – in meinem nächsten“, lautet die Schlusspointe. Nach der Pause folgte die Wahlsüdpfälzerin Ute Kliewer mit ihrer Doppelerzählung „Grenzträume“, die sie im Dialog mit ihrem langjährigen Lesepartner Wolfgang Allinger vortrug, was dem Auftritt große Lebendigkeit verlieh. Aber auch die Geschichte an sich überzeugt. Sie handelt im ersten Teil von einem jungen Pärchen aus der DDR, das es im Jahr 1981 allen Unkenrufen zum Trotz mit einem altersschwachen Awo-Gespann bis an die bulgarisch-griechische Grenze schafft. Dort ist dann aber Schluss für die beiden, weil der Eiserne Vorhang kein Weiterkommen mehr zulässt, obwohl die Schilder schon so verheißungsvoll den Weg nach Thessaloniki und Athen weisen. Auch in „Grenzträume 2“ gibt es zwei Protagonisten, die mit ihren Hoffnungen an einem Stacheldraht scheitern. Diesmal befinden wir uns im Jahr 2017, und es handelt sich um zwei Brüder, die vor Krieg und Perspektivlosigkeit in ihrem ungenannten afrikanischen Heimatland geflohen sind, aber an der hermetisch abgeriegelten Grenze der spanischen Exklave Melilla hängen bleiben. Wie sich Geschichte doch wiederholt! Für Ute Kliewer ist zumindest der erste Teil dabei weit mehr als nur irgendeine fiktive Story, denn Anke und Christian auf ihrem Motorradgespann, das sind sie selbst und ihr Ehemann in ihrer eigenen Jugend. Trotzdem hat die Doppelerzählung nichts Didaktisches oder Verkrampftes. Sie ist klar und empathisch geschrieben, eine Schilderung dessen, was war und was ist. Den Abschluss im Bereich der Prosa markierte dann die Neustadterin Christiane Hartmann mit ihrer bereits 2004 veröffentlichten Kurzgeschichte „Einmal und nie wieder“, einer witzigen, im Ton fast an Erzählungen der Romantik erinnernden Posse über das literarische Schreiben, bei der sich eine literarische Figur wie ein Flaschengeist aus einem Manuskript materialisiert und ihrem Schöpfer, dem Dichter, das Leben schwer macht. Zwischen diesen Prosabeiträgen stellte die Neustadterin Katharina Dück Gedichtfragmente vor, die sich in sehr assoziativere Form auf Walter Benjamins Idee von der Diskontinuität der Zeit bezogen und damit auch die Brücke zum Titel der Gesamtveranstaltung, „Aus der Kaktusecke“, schlugen, der auf Benjamins Erzählung „Die Kaktushecke“ anspielt. Als Intermezzi zwischen den literarischen Angeboten steuerte Tine Duffing performative Szenen bei und ließ zum Beispiel mit unbewegter Miene Papiermasken im Raum zu Boden schweben, die Klänge einer Mini-Drehorgel durch den Raum wandern oder Murmeln mit lautem Klacken auf die Abdeckung einer flachgelegten Wanduhr fallen – ebenso wie aus einer Muschel rieselnder Sand ein schönes Sinnbild für das Verrinnen der Zeit, dessen es an diesem Abend aber gar nicht bedurft hätte. Vielleicht könnte man beim nächsten Mal einfach die Einführungsrede etwas kürzer halten und das Sitzplatz-Management im Lokal verbessern. Termin Wegen der großen Nachfrage wird die Veranstaltung am Freitag, 15. März, ab 19 Uhr im „Liebstöckl“, Mittelgasse 22, in Neustadt wiederholt. Karten (8 Euro - diesmal ohne Kulinarikangebot) in der Neustadter Bücherstube (06321/2235).

x