Neustadt Den Opfern einen Namen geben
Mit den Auswirkungen der Naziherrschaft und des Zweiten Weltkriegs auf Geinsheim beschäftigt sich der Geinsheimer Heimatforscher Norbert Kästel in seinem neuen Buch, das am Sonntag vom Verein für Heimatpflege vorgestellt wird. „Das Thema hat mir am Herzen gelegen, vor allem, weil ich allen Opfern einen Namen geben wollte“, so Kästel.
In dem 100 Seiten dicken Buch mit dem Titel „Naziherrschaft und Zweiter Weltkrieg in Geinsheim in der Pfalz“ nennt Kästel die Namen der Geinsheimer Juden, die ermordet wurden, listet die Namen der gefallenen und vermissten Soldaten auf und gibt auch den Opfern aus der Zivilbevölkerung einen Namen. Nur eine Ausnahme macht der Heimatforscher: Er berichtet zwar, dass Geinsheimer und Geinsheimerinnen zwangssterilisiert wurden, doch deren Namen gibt er nicht an, da von einigen der Betroffenen nahe Verwandte in Geinsheim leben. Gewidmet hat Kästel sein Werk „den aus Geinsheim stammenden Opfern des Naziterrors und des Zweiten Weltkrieges“. Im Gegensatz zu den meisten seiner bisherigen Bücher und Schriften konnte Kästel auf eigene Erinnerungen zurückgreifen. „Ich kann mich noch gut an die Reichspogromnacht 1938 erinnern, wir standen auf der Straße, und es hieß, dass die Judenschule angezündet wird“, erzählt Kästel. Zwar wurde die 1865 errichtete Synagoge verwüstet, aber nicht angezündet, weil man befürchtete, dass ein Nachbarhaus in Brand geraten könne. Auch auf Erinnerungen anderer Geinsheimer hat Kästel zurückgegriffen, und eine gute Quelle seien die Schultagebücher gewesen. Dagegen sei im Pfarrgedenkbuch, das ansonsten ausführlich über die Geinsheimer Geschichte Auskunft gibt, kaum etwas über die Zeit von 1933 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs erwähnt. Kästel hat sein Werk in drei große Kapitel unterteilt. Das erste ist mit „Die Nazi-Herrschaft“ überschrieben. „Im März 1933 haben die Geinsheimer noch recht vorsichtig gewählt“, sagt Kästel. Nur 24 Prozent der Stimmen entfielen auf die NSDAP. 73 Prozent entfielen auf das Bündnis Zentrum und Bayerische Volkspartei. Dieses Wahlergebnis ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Geinsheimer streng katholisch waren. Ganz anders sah es im benachbarten Duttweiler aus, dort wählten etwa 60 Prozent die NSDAP, und dort gab es eine Ortsgruppe der Partei. Kästel berichtet, wie die Nationalsozialisten auch in Geinsheim die Macht übernahmen, dass der 1929 gewählte Bürgermeister Karl Mohr abgesetzt wurde, wie die Vereine und Organisationen gleichgeschaltet oder verboten wurden und die Hausreben, deren Ursprung auf amerikanische Wildreben zurückgeht, herausgerissen werden mussten. 30 Juden lebten 1930 in Geinsheim. Ausführlich berichtet Kästel über deren Schicksal. Drei Geinsheimer mussten sterben, weil sie aufgrund einer Behinderung oder einer psychischen Erkrankung als „lebensunwert“ galten – so auch Eva Eichberger, die Großtante von Norbert Kästel. Der Kriegerverein, Luftschutzmaßnahmen und eine Luftwaffeneinheit der Wehrmacht, die in Geinsheim stationiert war, sind weitere Themen. Im zweiten großen Kapitel geht es um die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Kästel informiert über Geinsheimer, die als Soldaten eingezogen wurden, über Auswirkungen des Krieges auf das Leben im Ort. „Hunger hat man bis zum Kriegsende in Geinsheim nicht gelitten“, weiß Kästel. Zu verdanken war das auch heimlicher Schlachtungen von Schweinen oder Kälbern, deren vorgeschriebene Registrierung „vergessen“ worden war. Kästel berichtet von Fliegerangriffen, von Eltern, die mehrere Söhne dem Krieg opfern mussten, vom Schulbetrieb. Weitern Unterkapitel behandeln das Kriegsende und die Nachkriegszeit. Das dritte Kapitel handelt von allen Opfern des Zweiten Weltkriegs. Info Norbert Kästels Buch wird am Sonntag um 17 Uhr vom Verein für Heimatpflege Geinsheim im Sängerheim des MGV vorgestellt. Erhältlich ist es beim Autor selbst und beim Verein. (ann)