Neustadt „Demokratie ist eine Köstlichkeit“

Herr Eppelmann, die Deutsche Einheit ist in zahlreichen Schritten vollzogen worden. Welcher Schritt war für Sie der größte?

Na ja, als klar war, wir schaffen es, und wir haben dazu beigetragen, sogar wesentlich dazu beigetragen, dass die Diktatoren in der DDR nicht weiter herrschen konnten. Der „Friedenskreis“ in Ihrer Berliner Kirchengemeinde zählte in den 1980er Jahren zu den bekanntesten Oppositionsgruppen gegen die Diktatur der SED. Worauf beruhte Ihre Hoffnung, dass es Ihnen und Ihren Mitstreitern gelingen könnte, diese Diktatur zu stürzen? Zu sagen, wir hatten die Hoffnung, das Regime zu stürzen, das wäre schon fast vermessen gewesen, denn wir hatten die Erfahrung des 17. Juni 1953. Wir hatten mitbekommen, was 1956 in Budapest passiert ist, was 68 in Prag passiert ist, was 70 und 80 in Polen war. Wir hatten aber Zeichen der Hoffnung: Gorbatschow, der 1985 die Breschnew-Doktrin aufgekündigt hatte. Aber hält er das auch wirklich ein, wenn auf einmal seine wichtigste „Kolonie“ verloren geht? Wir waren bescheiden, haben uns bloß bemüht zu sagen, wir haben Kinder in die Welt gesetzt und wollen selber weiterleben, und dafür brauchen wir eine Perspektive. Wie viele Personen zählten zum engsten Kreis Ihrer kirchlichen Friedensbewegung? Unterschiedliche Quellen, darunter auch die Stasi, sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es 750 bis 1000 waren. Weshalb waren gerade Kirchen in der Bürgerrechtsbewegung besonders engagiert? Es gab eine Veranstaltungsverordnung in der DDR, die besagte, dass jeder Bürger Veranstaltungen durchführen darf, aber eigentlich war das nur Sache der Partei und der Massenorganisationen, und die sind natürlich alle gleichgeschaltet gewesen. Der einzige Freiraum, den die Gesetze erlaubten, waren gottesdienstliche Versammlungen der Kirchen, denn die, hieß es, verantworten ihre Veranstaltungen selbst. Irgendwann haben wir begriffen, dass Gottesdienste nicht nur auf traditionelle Art stattfinden müssen, sondern sehr wohl auch Versammlungen sein können, die unter einem Bibelwort stehen und einen, wenn auch sparsamen liturgischen Rahmen haben müssen. Innerhalb dieser Vorgaben haben wir überlegt, wie wir den Frieden in Europa und die Einhaltung der Menschenrechte in der DDR verbessern können. Stichwort Frieden in Europa: Vor 25 Jahren haben sich in Ostblockstaaten Tore geöffnet, Zäune sind überklettert worden, letztlich fiel der Eiserne Vorhang. Heute sind Zäune und Absperrungen erneut ein Thema. Wie soll Europa mit den Flüchtlingsströmen umgehen? Heute werden die Grenzen nicht grundsätzlich geschlossen wie in Zeiten der Blockkonfrontation. Wir sind jedoch gefordert. Die Regierungen sind für eine vernünftige Haushaltsplanung, eine vernünftige Fürsorge-, aber auch eine vernünftige Sicherheitspolitik verantwortlich. Wir sind dabei, über eine öffentliche Diskussion eine Methode zu finden, mit der wir leben können, mit der auch die Welt leben kann. Die jüngsten Anschläge in Paris … … die haben Einfluss auf die gegenwärtige Diskussion, aber jene Menschen haben recht, die sagen, lasst uns um Gottes Willen die Frage der Flüchtlinge nicht mit dem verbinden, was Leute tun, die wirr im Kopf sind und anderen Menschen das Leben nehmen. Wie stehen Sie als Christdemokrat zum Kanzlerinnen-Satz „Wir schaffen das“? Der Satz ist rührend, aber leider missverständlich, doch er hat eine Debatte angeheizt. Darüber bin ich froh. Die Frage ist doch: Wie schaffen wir das in der Wirtschaft, im Bauwesen, bei der Versorgung, in der Verwaltung? Das kann momentan niemand sagen, weil wir den Überblick nicht haben – auch die Regierung hat ihn nicht. Doch wir werden in einer überschaubaren Zeit eine Antwort auf diese Frage finden müssen, und dann werden wir das gemeinsam angehen und es auf eine ähnlich herausragende Art und Weise schaffen, wie wir es mit der Wiedervereinigung Deutschlands hingekriegt haben. Werden Sie den Kanzler der Einheit bei Ihrem Besuch sehen? Es ist nicht geplant, ich bin zurückhaltend. Er lebt ja sehr zurückgezogen und – wie man hört – von seiner Frau abgeschirmt. Ich wollte keine peinliche Situation schaffen. Wenn das Haus Kohl eine Begegnung wünscht, dann würde mich das freuen – aber es muss eine Entscheidung von Helmut Kohl bleiben. Sie kennen ihn ja wohl ganz gut. Ja, ich bin vier Legislaturperioden Mitglied des Deutschen Bundestags und sieben Jahre lang CDA-Bundesvorsitzender gewesen, also der CDU-Sozialausschüsse, habe im Präsidium und im Bundesvorstand der CDU gesessen. Es gab viele, viele Gelegenheiten, bei denen wir uns getroffen haben. Herr Eppelmann, wie sehr beschäftigt Sie heute noch die DDR-Vergangenheit? Was ist Ihnen geblieben – außer der Erinnerung? Die Erkenntnis, dass ich heute, bei allen Problemen, die wir haben, in einer Demokratie lebe, nach der ich mich viele Jahre gesehnt habe. Und ich weiß aus eigenem Erleben sehr gut: Im Vergleich zur Diktatur ist Demokratie eine Köstlichkeit. Termin Rainer Eppelmann ist morgen, 18 Uhr, zu Gast in Ludwigshafen. Im Bürgerhaus Oppau (Rosenthalstraße 4) spricht er über „25 Jahre Deutsche Einheit“. Anmeldung erbeten beim Mainzer Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung, kas-rp@kas.de, Telefon 06131/2016932.

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