Neustadt Dem Nachtjäger auf der Spur

„Wir wollen Opfern einen Namen geben“, sagt Uwe Benkel. Der 54-Jährige aus Heltersberg hat 1989 eine „Arbeitsgruppe für Vermisstenforschung“ gegründet, die Schicksale von im Zweiten Weltkrieg abgestürzten Piloten klären und dafür sorgen will, dass die ums Leben gekommenen Flieger eine ordentliche Grabstätte bekommen: „Damit nach Jahrzehnten eine Lücke in der Familienchronik geschlossen werden kann“, sagt Benkel im Gespräch mit der RHEINPFALZ. Die rund 40 Mitarbeiter der Arbeitsgruppe versuchen darüber hinaus, Wrackteile und Trümmer von abgestürzten Weltkriegs-Flugzeugen zu finden. Dabei geht es den Vermisstenforschern nicht um „Luftkriegs-Archäologie“, sondern vor allem darum, Altlasten aus dem Boden zu bergen. „Wir sind ein seriöser Verein“, betont Benkel. Nicht zuletzt sieht er die Aufgabe als Friedensarbeit: „Die Suche nach vermissten Fliegern, gleich welcher Nationalität, dient der Völkerverständigung.“ In Rheinland-Pfalz und im Saarland – hier ist die Gruppe schwerpunktmäßig tätig – sind in 25 Jahren über 400 Absturzstellen lokalisiert worden, 40 alleine in der Pfalz. Nach 140 verschollenen Flugzeugen wurde gegraben, und dabei konnten die Forscher sterbliche Überreste von 45 Besatzungsmitgliedern bergen, die fast alle identifiziert werden konnten. Die Vermisstenforscher sind international vernetzt: In Deutschland engagieren sich rund 400 Menschen bei der Suche nach Flugzeugwracks, weltweit etwa 1000. Über das Internet tauschen sie sich aus, und in umfangreichen Datenbanken werden Daten über Flugzeuge, Piloten, Besatzung und Absturzstellen gesammelt. Informationen aus dem Internet dienen auch im Falle des Absturzes in der Nacht zum 28. August 1943 als Quelle, erläutert im Gespräch mit der RHEINPFALZ Benkels Mitarbeiter Peter Berkel aus Schifferstadt. Er hat die Hinweise zusammengetragen, die auf eine Absturzstelle in der Nähe von Haßloch – genauer: zwischen dem heutigen Industriegebiet Süd und Lachen-Speyerdorf – hindeuten. In jener Nacht fliegen alliierte Bomber einen Angriff auf die BASF, und es kommt zum Luftkampf über Ludwigshafen. Im Einsatz ist auf deutscher Seite auch eine zweimotorige Messerschmitt Bf 110, Version G 4. Das Kürzel „Bf“ steht dabei für den Hersteller Bayerische Flugzeugwerke. Das Flugzeug wird von der Luftwaffe häufig als Nachtjäger eingesetzt und ist mit einer Radaranlage – vier großen Antennen – ausgestattet. An Bord der Maschine, die zur 6. Staffel des im Stuttgarter Raum stationierten Nachtjagdgeschwaders gehört, befinden sich drei Mann Besatzung: Unteroffizier Edmund Schmitz als Pilot, Unteroffizier Friedrich Pospenschill als Funker und Bordschütze sowie Funker Hans Weinmeyer. Aus den Angaben eines inzwischen verstorbenen Augenzeugen und des Piloten Schmitz, der den Absturz überlebte, puzzelt Peter Berkel das Geschehen jener Nacht vor über 71 Jahren zusammen. Der mittlerweile hochbetagte Edmund Schmitz, der heute in Duisburg lebt, schildert Berkel die wohl dramatischsten Minuten seines Lebens: Demnach wird die Me 110 über Ludwigshafen in Brand geschossen und dreht in westlicher Richtung ab. Etwa über Böhl-Iggelheim bleibt der Besatzung nichts anderes übrig, als in 4500 Meter Höhe aus der brennenden Maschine auszusteigen. Schmitz und Weinmeyer können sich mit dem Fallschirm retten – wobei Pilot Schmitz beim Ausstieg am Leitwerk hängenbleibt und sich dabei verletzt. In Neustadt wird er später im Lazarett versorgt. Weinmeyer überlebt den Absprung ebenfalls – doch er kommt 1944 bei einem weiteren Flugzeugabsturz ums Leben. Das dritte Besatzungsmitglied, Unteroffizier Pospenschill, stirbt in jener Nacht: Sein Fallschirm öffnet sich nicht. Laut Berkel deuten die vorliegenden Informationen darauf hin, dass die unbemannte Maschine noch einige Kilometer weitergeflogen ist und dann mit hoher Geschwindigkeit zwischen dem heutigen Industriegebiet Süd und Lachen-Speyerdorf aufgeschlagen ist und einige Meter tief im Erdreich steckt. „Es ist wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen“, sagt Uwe Benkel. Um ein vor über 70 Jahren abgestürztes Flugzeug zu finden, sind die Vermisstenforscher auf die Angaben von Augen- oder Zeitzeugen angewiesen. Je mehr Informationen zusammenkommen, desto besser: So kann die Absturzstelle eingegrenzt werden, erläutert er die in 25 Jahren erprobte Vorgehensweise. Wertvolle Hinweise liefern ein Krater, eine Schneise im Wald oder ein Bereich mit jüngeren Bäumen. Nächster Schritt ist – mit Genehmigung des Eigentümers – eine Geländebegehung mit einer Oberflächensonde, die bis in eine Tiefe von 30 Zentimetern Metallteile aufspürt. Kommen Aluminiumteile ans Tageslicht, befinden sich die Forscher auf einem guten Weg, sagt Benkel. Ist die genaue Absturzstelle gefunden, kommt eine Magnetfeldsonde zum Einsatz, die bis sechs Meter Tiefe auf Metallteile reagiert. Bevor Grabungsarbeiten beginnen können, sind Genehmigungen der Staatsanwaltschaft, der Gemeinde und – wegen möglicher Munitionsfunde – des Kampfmittelräumdienstes nötig. Vier bis sechs Meter tief im Boden eines Ackers bei Böhl-Iggelheim steckt vermutlich auch eine Messerschmitt Bf 109, die Benkel im Sommer ausgraben will. Weitere Suchen laufen derzeit bei Obersülzen und bei Rödersheim-Gronau. Um die Absturzstelle bei Haßloch ausfindig zu machen, setzen Benkel und Berkel ihre Hoffnungen auf die Mithilfe von Bürgern, die aus eigener Erinnerung oder auch vom Hörensagen Informationen beitragen können. Den Ortshistorikern Günter Ohler und Wolfgang Hubach, Herausgeber der „Haßlocher Heimatblätter“, war der Absturz der Messerschmitt Bf 110 Ende August 1943 bisher nicht bekannt. Drei Flugzeuge sind nach ihrem Kenntnisstand im Zweiten Weltkrieg in und bei Haßloch abgestürzt: eine deutsche Maschine am Ortsrand am Lachener Weg sowie ein britisches Flugzeug in der Nähe des Erbsengrabens und ein weiterer Flieger der Alliierten im Burgweg.

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