Neustadt Baumchirurgische Maßnahmen: Akrobatische Sägemanöver

Im Wald oberhalb der Hauberallee laufen zurzeit „baumchirurgische Maßnahmen“. Damit könne man Bäume erhalten, um die es einfach schade wäre, wenn sie gefällt würden, sagt Forstrevierleiter Jens Bramenkamp. Im Einsatz sind dabei sogenannte Baumkletterer.

Die Sonne schickt an diesem wunderbaren Mittwochmorgen ihre Strahlen wärmend durch die Baumwipfel. Ein paar Vögel zwitschern munter, ansonsten ist es still. Fast jedenfalls, denn ein leise sägendes Geräusch ist von irgendwo oben zu hören: In knapp 20 Metern Höhe sitzt Finn Wissing auf einem dicken Ast und sägt einen anderen Ast ab. Wobei „sitzen“ das Ganze eigentlich nicht richtig trifft: Er hängt irgendwie ziemlich quer in den Seilen, mit denen er abgesichert ist, und bewegt die etwa 50 Zentimeter lange Säge mit einer für diese Haltung erstaunlichen Kraft hin und her. „Das ist schon sehr anstrengend“, sagt Wissings diesmal am Boden bleibender Kollege Dirk Künzel mit Blick nach oben. Wissings kräftige Oberarme untermauern seine Worte eindrucksvoll. Die beiden Landauer sind Baumkletterer. Hört sich nach Freizeitbeschäftigung an, ist aber ein anerkannter Beruf. Seit gut zehn Jahren ist Künzel als selbstständiger Baumkletterer im Einsatz, zuvor war der 50-Jährige im Landschafts- und Gartenbau tätig. An und auf Felsen ist er quasi schon sein halbes Leben herumgekraxelt. Und als sich die Chance bot, das Hobby auf eine ähnliche Weise zum Beruf zu machen, packte er zu. Zwar klettert Künzel auch heute noch lieber auf Steinen als auf Bäumen herum. Weil man sich auf Bäumen „erst durch die Äste wurschteln“ müsse. Aber es bereite viel Freude, mit seiner Arbeit einen tollen Baum zu erhalten: „Es ist ein Traumberuf.“ Jens Bramenkamp, der Leiter des Forstreviers Hohe Loog, greift recht gerne auf die Dienste von Baumkletterern zurück. Auch wenn deren Einsatz nicht ganz billig ist. Insgesamt hat Künzel derzeit einen Auftrag für etwa ein Dutzend Bäume im Stadtgebiet, die Kosten dafür belaufen sich auf rund 2500 Euro. Aber in Waldgebieten wie oberhalb der Hauberallee ist der Einsatz einer günstigeren Hebebühne undenkbar und damit eine Kletterpartie die einzige Möglichkeit, große Bäume zu beschneiden. „Und bei solchen Baumveteranen lohnt sich das, das trägt auch der Stadtrat mit“, betont Bramenkamp. Die weit über 100 Jahre alte Roteiche, in der Finn Wissing derweil weiter seine akrobatischen Sägemanöver vollführt, sei ein gutes Beispiel dafür. „Ein tolles Ding. Mit einer Riesenkrone, vital, pilzfrei“, schwärmt der Förster. Dass nicht alle Anwohner seine Begeisterung für die Waldriesen teilen, ist Bramenkamp bewusst. „Freunde haben zu uns gesagt: Ihr wohnt ja schön hier, aber ihr habt’s ziemlich dunkel“, erzählt Gottfried Schlichthärle, der in der Hauberallee wohnt und an diesem Morgen über den kleinen Trampelpfad neben seinem Garten hoch gekommen ist, um den Arbeitern zwei Tassen Kaffee zu bringen. Der Senior selbst mag die alten Bäume, kann allerdings auch den Wunsch nach mehr Licht nachvollziehen. „Aber wir können nicht alle 30 Jahre einen Kahlschlag für die Leute machen“, sagt Bramenkamp. Gerade die älteren Bäume seien wertvoll: „Sie haben die größere Photosynthese, liefern mehr Sauerstoff, filtern viele Schadstoffe“, so der Fachmann. Wissing sägt unterdessen weiter fleißig Äste ab – natürlich nach einem festen Plan. Wie welcher Ast gekappt wird, ist das Wichtigste überhaupt und eine Wissenschaft für sich. Ein Hauptast darf zum Beispiel nur ab, wenn er einen Nebenast hat, über den der Baum dann versorgt wird. „Die Schnittstelle ist eine Wunde. Und wenn sie zu groß ist, wächst sie nicht schnell genug zu, und es kommt der Pilz rein“, erläutert Künzel. Aber sein 31-jähriger Kollege hoch oben im Baum weiß ganz genau, wo er ansetzen muss.

x