Neustadt Bürckel-Forschung lückenhaft

Mehr als 200 Bürger verfolgten am Freitag im Saalbau einen ganzen Tag lang Vorträge und Diskussionen über den NS-Gauleiter Josef Bürckel – etwa die gleiche Anzahl von Interessenten war bei der Anmeldung nicht zum Zug gekommen. Ziel der Tagung war es, der Bürckel-Forschung einen neuen Impuls zu geben.

Den Anstoß für die Bürckel-Tagung hatten Fragen gegeben, auf die zwei Studenten der Universität Mainz keine Antwort fanden. Sie waren nach Neustadt gekommen, um sich die Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in der Turenne-Kaserne anzuschauen – und aus neuen Erkenntnissen waren neue Fragen erwachsen. Was war dieser Bürckel für ein Mann, der sich über Beschwerden der Häftlinge in jenem frühen „wilden“ Lager der Nationalsozialisten in der Turenne-Kaserne informierte und auch darauf reagierte, sich später aber als eiskalter, menschenverachtender Rassist erwies? Auf der Suche nach Antworten stellten die Studenten fest, dass die Forschung zu Bürckel lückenhaft ist. Daraus entstand die Tagung, erklärte die Historikerin Pia Nordblom, die die Studenten betreute und zu dem Team gehörte, das die Veranstaltung koordinierte.

Der Andrang war weit größer als erwartet. Rund 200 Interessenten mussten die Veranstalter absagen, weil die 200 Plätze im kleinen Saal des Saalbaus schnell belegt waren. Einige waren dennoch gekommen und hörten die Vorträge im Foyer, wohin sie übertragen wurden. In einem abschließenden Podiumsgespräch unter dem Titel „Das Erbe Bürckels als Herausforderung für die Gegenwart“ wies Eberhard Dittus, Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt, darauf hin, dass die Zeit dränge bei der Aufarbeitung der Lokalgeschichte. In den vergangenen Jahrzehnten sei zu wenig passiert. „Noch länger dürfen wir nicht warten.“ Dittus hofft, dass die Gedenkstätte mittelfristig zu einer Außenstelle der Gedenkstätte in Osthofen wird, damit die Finanzierung gesichert ist.

Kulturdezernent Marc Weigel (FWG) sieht es zurzeit als wichtigste Aufgabe an, die bestehenden Initiativen aus der Bürgerschaft zu erhalten und noch besser miteinander zu vernetzen. Was aus den ehemaligen Gestapo-Kellern im Finanzamt wird, sei noch unklar, so Weigel. Der Kulturdezernent saß stellvertretend für Oberbürgermeister Hans Georg Löffler (CDU) auf dem Podium. Löffler sei wegen der laufenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst verhindert, hieß es zur Begründung. Weigel, der als Lehrer am Leibniz-Gymnasium unterrichtet, unterstrich die Bedeutung der lokalen Erinnerungsstätten für den Geschichtsunterricht.

Walter Rummel, der Leiter des Landesarchivs in Speyer, ging einen Schritt weiter und forderte ein radikales Umdenken im Geschichtsunterricht. „Ich würde die Lehrer zu Projekten an außerschulischen Lernorten verdonnern“, sagte er. Dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus immer auch „Arbeit am aktuellen politischen System“ ist, betonte beispielsweise der Wiener Historiker Oliver Rathkolb. (kkr)

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