Neustadt Aufwühlende Romantik

Seltene Besetzung, gewöhnungsbedürftiger Klang: Sopranistin Sheva Tehoval interpretierte gemeinsam mit dem „Mandelring Quartett“
Seltene Besetzung, gewöhnungsbedürftiger Klang: Sopranistin Sheva Tehoval interpretierte gemeinsam mit dem »Mandelring Quartett« acht Mendelsohn-Lieder in einer Bearbeitung des Neutöners Aribert Reimann.

«Neustadt-Hambach.» Dramatik pur zum Auftakt des Hambacher Musikfestes: Zu einem aufwühlenden Ereignis geriet das Eröffnungskonzert am Mittwoch im Festsaal des Hambacher Schlosses. Neben dem gastgebenden „Mandelring Quartett“ musizierten das „Minetti Quartett“, die Sopranistin Sheva Tehoval und der Pianist Daniel Heide mit einem reinen Mendelssohn-Programm.

„Musizieren“ klingt immer ein wenig nach braver Hausmusik. Davon konnte zum Auftakt mit Mendelssohns emotionalstem Werk, seinem auch als „Requiem für Fanny“ bezeichneten Streichquartett f-Moll op. 80, keine Rede sein. Ohne zu zögern legt das „Minetti Quartett“ los, beschwört mit feinnervig brodelnden Tremoli und atemlosem Pulsieren zum Auftakt eine geisterhaft-düstere Stimmung herauf. Mit einer geradezu kompromisslosen Entschlossenheit zeichnen die „jungen Wilden“ die Trauerarbeit des Komponisten anlässlich des unerwarteten Todes seiner geliebten Schwester nach. Bis an die Schmerzgrenze führt das jeweils in wahnwitzigen Tempobeschleunigungen endende Spiel mit den Kontrasten. „Schneller, höher, weiter“ lautet die Devise vieler junger Ensembles, und das „Minetti Quartett“ bildet darin keine Ausnahme. Es geht um das Ausloten von Grenzen. Geradezu explosiv der Zugriff der bulgarischen Geigerin Bojidara Kouzmanova. Als Ersatz für die derzeit schwangere Maria Ehmer setzt sie ihre eigenen, nicht immer mit dem Rest kompatiblen Akzente. Nur am Rande: Kritiker mögen dem „Minetti Quartett“ nicht ganz zu Unrecht eine gewisse Übertriebenheit in der Artikulation unterstellen. Das Publikum sieht das nicht so. Es genießt den Tanz auf dem Pulverfass. Langeweile jedenfalls klingt anders.Ein absolutes Dream-Team und ein Geschenk des Himmels: die Sopranistin Sheva Tehoval und der Pianist Daniel Heide. Ja, alles richtig gemacht, die Etikette erlaubt es, zwischen den fünf Liedern zu klatschen, denn schließlich handelt es sich um keinen geschlossenen Zyklus, sondern um eine willkürliche Zusammenstellung aus dem reichen Liederfundus Mendelssohns. Die umwerfend natürliche, von einem unglaublichen Liebreiz beseelte und von jeglichen Diva-Allüren befreite lyrische Stimme Sheva Tehovals lässt aufhorchen. Das Mitlesen der in der dicken Programm-Broschüre befindlichen Gedichte aus der Feder von Nikolaus Lenau und Johann Wolfgang von Goethe erübrigt sich, denn die Belgierin artikuliert gestochen klar ohne den leisesten Ansatz eines Akzentes. Und Daniel Heide verfügt über alles, was man von einem perfekten Klavierbegleiter erwartet: Individualität gepaart mit Einfühlungsvermögen, poetisches Talent und spieltechnische Brillanz. Die berühmte Gerald-Moore-Frage „Bin ich zu laut?“ erübrigt sich bei ihm. Mit seinem intuitiven Gefühl für die perfekte Klangbalance gibt er den idealen Partner am Klavier – eine traumhafte Begleitung für die verträumten musikalischen Höhenflüge Tehovals. Zum Schluss ernten sie nach dem „Hexenlied“ einen frenetischen Applaus, wie man ihn normalerweise eher von Helene- Fischer-Konzerten kennt. Ein zwar sehr aufregendes, aber nicht ganz so „harmonisches“ Hörerlebnis bereiteten die zuvor gehörten „Acht Lieder und ein Fragment“ von Mendelssohn nach Gedichten von Heinrich Heine in einer Bearbeitung des zeitgenössischen Komponisten Aribert Reimann. Nun darf man natürlich nicht die neu hinzugefügten, der modernen Musiksprache verpflichteten neuen Töne eines verdienten Neutöners kritisieren. Dennoch sei die Anmerkung erlaubt, dass die krassen Brüche zwischen schwelgerischer Romantik und schrillen modernen Klängen etwas gewöhnungsbedürftig sind. Denn die Mendelssohn-Version Reimanns ist weit entfernt von einem reinen Arrangement, also der tongetreuen Umarbeitung des Klaviersatzes für vier Streicher. Vor allem in den Zwischenspielen wird nicht mit bizarren Klangexperimenten gespart. Das „Mandelring Quartett“ beißt sich wacker durch die haarsträubend knifflige Partitur, kostet die Disharmonien aus, lässt die Saiten flirren, das Bogenholz krachen. Als Mendelssohn-Experten haben sich die „Mandelring Quartett“-Mitglieder nicht zuletzt über die Gesamteinspielung des Kammermusik-Werks profiliert. Zum Abschluss lassen sie kräftig die Muskeln spielen und präsentieren mit dem Streichquintett B-Dur op. 87, das zu den berühmtesten der Gattung zählt, ein zum Abheben schönes Stück. Verstärkung finden sie in dem aus Serbien stammenden Vollblutmusiker Milan Milojicic, der zusammen mit Andreas Willwohl ein Bratschen-Duo der Superlative bildet und sich mitreißen lässt von der leidenschaftlichen Spielfreude des Quartetts.

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