Neustadt „Übergewicht mehr oder minder normal geworden“
Oft ist die Rede von Volkskrankheiten, doch das Wissen darüber meist wenig verbreitet. In Kooperation mit dem Neustadter Krankenhaus Hetzelstift hat die RHEINPFALZ ein Lesertelefon ins Leben gerufen, bei dem Fachärzte Rede und Antwort stehen. Am Dienstag, 13. Januar, ist es wieder soweit. Das Thema: Adipositas – krankhaftes Übergewicht. Gesprächspartner ist Dr. Yann Asbeck.
Rund 170 Anfragen beantworten Yann Asbeck, Oberarzt am Adipositaszentrum der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Hetzelstifts, und seine Kollegin Dr. Alexa Wölfl im Jahr – mit steigender Tendenz. „Über 50 Prozent der Deutschen sind übergewichtig, die Anzahl der Betroffenen ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen“, sagt Asbeck. Die Grenze von Übergewicht zu Adipositas werde in der Regel über den sogenannten Body-Mass Index (BMI) gezogen – einem groben Richtwert, der Gewicht und Körpergröße in Relation setzt. „Als normalgewichtig gelten demnach Menschen mit einem BMI von 20 bis 25, zwischen 25 und 30 spricht man von Übergewicht und ab 35 von Adipositas“, so Asbeck. Ursachen für krankhaftes Übergewicht seien in der Regel Lebensgewohnheiten, Bewegungsmangel und „billige Kalorien“. „Seit der industriellen Revolution sind Lebensmittel günstig und leicht zu haben“, sagt der Chirurg. Die menschliche Genetik sei jedoch noch immer „auf Neandertalerniveau“ – als die Fähigkeit zum Speichern von Fett noch ein Überlebensvorteil war. „Einfach gesagt ist es so, dass die tägliche Energieaufnahme der Patienten langfristig den Energieverbrauch übersteigt.“ Adipositas sei eine von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannte chronische Erkrankung, die nicht nur die Lebensqualität einschränke, sondern auch zahlreiche Folgeerkrankungen, wie Bluthochdruck, Diabetes, Arthrose oder auch bösartige Tumore, mit sich bringen könne. „Natürlich sollte man zunächst alle konservativen Methoden zur Gewichtsreduktion ausschöpfen. Dazu gehören neben Diät und Bewegungstherapie auch möglicherweise die Betreuung durch einen Verhaltenstherapeuten“, sagt Asbeck. Erst wenn diese Maßnahmen dauerhaft fehlschlügen, komme eine Operation in Betracht. Im Adipositaszentrum des Hetzelstifts werden unterschiedliche operative Verfahren angeboten: Als Hilfsmittel zur Gewichtsreduktion kommt zunächst ein Magenballon in Betracht, auch ein Magenband kann eingesetzt werden, um das Volumen des Organs zu verkleinern. In manchen Fällen sind auch kompliziertere operative Maßnahmen möglich. „Solche Fragen klären wir in unseren speziellen Sprechstunden, auch die Details zu Vor- und Nachsorge sowie eventuelle psychologische Betreuung“, so Asbeck. Er betont, dass Adipositas ein Krankheitsbild sei, das alle Altersgruppen und sämtliche Gesellschaftsschichten betreffen könne. Auffällig sei jedoch, dass in den vergangenen Jahren auch viele Kinder und Jugendlichen betroffen seien: „Übergewicht ist mehr oder minder normal geworden.“ Von der genetischen Komponente abgesehen, lernten die Kinder ihr Essverhalten von den Eltern. Salopp gesagt, bedeute das, „dass übergewichtige Eltern die Chance für Kinder erhöhen, selbst übergewichtig zu werden“. Natürlich kann die telefonische RHEINPFALZ-Sprechstunde kein persönliches Gespräch und keine individuelle Untersuchung ersetzen; möglicherweise können sich daraus aber diagnostische Hinweise ergeben.