Neustadt Über den Kirchturm hinaus: Der Geist der Vernunft

Stephan Oberlinger.
Stephan Oberlinger.

„Es ist 5 vor 12!“ – unter dieses Motto hat das bundesweite Ökumenische Netzwerk Klimagerechtigkeit „Churches for Future“ den Monat September gestellt. Am 4. September war wieder der ökumenische Tag der Schöpfung. Seit 2010 fordert die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) jährlich am ersten Freitag im September dazu auf, angesichts der Zerstörung der Erde den eigenen Lebensstil zu korrigieren und konkrete Schritte zum Schutz der Mitwelt zu bedenken. Und für den 25. September hat die Bewegung „Fridays for Future“ zu einem nächsten globalen Aktionstag aufgerufen.

Viele Menschen bewegt, dass immer noch viel zu wenig getan wird, um die durchschnittliche Erwärmung der Erdatmosphäre auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen – ein Wert, dessen Einhaltung schon lange von den Naturwissenschaften vehement gefordert wird, und auf den sich 2015 im Pariser Klimaschutzabkommen 195 Vertragsparteien geeinigt haben. Dabei wird das Zeitfenster, in dem noch etwas gegen die schlimmsten Folgen des von Menschen gemachten Klimawandels auf den Weg gebracht werden kann, immer kleiner.

Zurzeit werden allerdings mehr Anstrengungen unternommen, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Doch die Wälder am Amazonas brennen. Das „ewige“ Eis schmilzt. Die Atmosphäre heizt sich weiter auf. In diesem Jahr wird vielfältig an den deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel erinnert. Er wurde vor 250 Jahren, am 27. August 1770, geboren. Schon zu Lebzeiten galt er als herausragend. Die Wirkung seiner Gedanken reicht bis in die Gegenwart. Hegel war zutiefst davon überzeugt, dass es in der Weltgeschichte vernünftig zugeht, ja, dass sich in ihr sozusagen der „Weltgeist entfaltet“. Zwar wäre er heute vielleicht darüber erschrocken, dass trotz der Fülle an Wissen die Menschheit dermaßen gefährdet ist. Umso mehr wäre er unter denen zu finden, die Veränderungen des Lebensstils anmahnen und Wege dorthin aufzeigen – und zwar um unserer Freiheit willen! Denn nach Hegel erkennt nur der freie Mensch, dass es sowohl seine Pflicht wie auch sein Recht ist, noch um „5 vor 12“ den von Menschen gemachten Klimawandel zu stoppen. Das zu erkennen und danach zu handeln, dazu ist der Mensch ein mit Vernunft begabtes Wesen.

Geboren in einem pietistischen Elternhaus, durchzieht Hegels bahnbrechendes Werk die biblische Überzeugung: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Vernunft.

Der Autor

Stephan Oberlinger ist prot. Pfarrer in Lachen-Speyerdorf

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