Neustadt Über den Kirchturm hinaus: Über den Sinn des Fastens

Jochen Keinath
Jochen Keinath

„Opa, ich hab’ fast gefastet“, sagt die kleine Jule. „Ich hab mir nur ein Bonbon genommen und die anderen drin gelassen.“ Der Opa hebt mahnend den Finger: „Süßigkeiten in der Fastenzeit? Das kommt ja gar nicht in die Tüte.“ – „Jetzt krieg’ ich aber zu viel“, meint Jules großer Bruder. „In dieser Zeit darf man sowieso alles Mögliche nicht. Und dann soll ich auch noch auf meine Computerspiele verzichten?“

Der Opa sagt brummend: „Versteh ich. Das ist so was wie ein Bonbon, der Dir das Leben versüßt. Aber ihr wisst ja gar nicht, was echtes Verzichten ist.“ – „Wie meinst Du das?“, fragt Jule. Der Opa erwidert: „Nach dem Krieg, da gab es fast gar nichts, da hatten wir oft Hunger.“ Stefan, der große Bruder, kontert grinsend: „Und als es dann wieder aufwärts ging, habt ihr euch den Bauch voll gehauen.“

„Gute Gespräche beim Kochen“

Der Opa ist nachdenklich geworden. „Ja, Du hast recht, wir Menschen vergessen schnell, worum es geht. Und dann wollen wir einfach zuviel.“ „So wie die Leute, die 20 Rollen Klopapier auf einmal gekauft haben“, erinnert sich Jule. „Aber wisst Ihr, was ich toll finde? Wenn wir alle zusammen kochen.“ „Stimmt“, bestätigt ihr Bruder. „Du nervst zwar, aber manchmal hast Du einfach recht.“

„Beim Kochen haben wir richtig gute Gespräche.“ – „Solche wie jetzt“, sagt der Opa. „Ich kenne da so einen Spruch aus der Bibel: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das von Gott kommt.“ – „Opa, ich hab eine Idee“, ruft Jule. „Vielleicht bedeutet Fasten, dass wir manches weglassen und dann mehr Zeit für gute Worte haben?“ – „Was soll das denn?“, fragt ihr Bruder.

Kraft spendende Worte

Wir Menschen leben nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das Gott uns schenkt. Es kann kommen von anderen Menschen oder von Gott selbst, durch die Bibel, durch eine Stimme in uns. Jemand sagt mir Mutmachendes. Gleich geht es mir besser. In der Bibel finde ich einen Satz, der mich ins Herz trifft. Schon merke ich, wie mich das verändert.

Fastenzeit 2021 bedeutet nicht, dass das Leben noch mühsamer wird, als es ohnehin gerade ist. Im Gegenteil – wenn ich mehr auf gute Worte höre, bekomme ich neue Kraft. Vor ein paar Jahren wurde ein Boot abgetrieben aufs offene Meer. Über neun Monate später hat man es entdeckt. Die Besatzung hatte überlebt. Nicht nur durch Regenwasser und gefangene Fische. Auch durch eine Bibel an Bord, die half, Hoffnung nicht aufzugeben.

Der Autor

Jochen Keinath ist Pfarrer der protestantischen Kirchengemeinde Maikammer.

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