Neustadt Wie eine literarische Achterbahn

Wolfgang Allinger mit der jüngsten Ausgabe der „Wortschau“, die im Februar erschien und bereits Neustadt als Redaktionsort im Im
Wolfgang Allinger mit der jüngsten Ausgabe der »Wortschau«, die im Februar erschien und bereits Neustadt als Redaktionsort im Impressum ausweist. Nr. 32 soll im September/Oktober folgen.

«Neustadt». Heimlich, still und leise ist Neustadt Anfang des Jahres zur Heimstätte einer literarischen Zeitschrift avanciert. Die „Wortschau“, 2007 in der Südpfalz gegründet, aber inzwischen längst überregional aufgestellt, hat ihren Sitz an die Mittelhaardt verlegt – zusammen mit ihrem Gründervater Wolfgang Allinger, der sich in der lebendigen literarischen Szene der Stadt bereits sehr gut aufgenommen fühlt.

„Die Menschen hier sind ein bisschen so wie im Ruhrgebiet“, lobt der gebürtige Dortmunder die Pfälzer Offenheit. Die kennt der 65-Jährige allerdings schon länger, denn schon 1980 kam der studierte Betriebswirt über einen Job beim Karlsruher Heine-Versand in die Region. Von 1987 bis 2016 lebte er in Herxheim bei Landau, und hier entstand 2007 dann die Idee, anspruchsvolle Literatur in Magazin-Form an die Menschen zu bringen. Denn einen Satz, der sich auch im Programm der „Wortschau“ findet, unterschreibt Allinger ganz besonders: „Der wichtigste Indikator für das Verstehen der Welt ist die Sprache.“ Diesen Anspruch sieht man der Reihe, deren jüngstes Heft, Nr. 31, im Februar erschienen ist – bereits mit Allingers neuer Winzinger Adresse im Impressum –, auch an: Es ist ein sehr schön gemachtes, bei aller gestalterischen Kreativität doch klar strukturiertes Magazin für Gegenwartsliteratur im Format DIN A4, immer mit rund 60 Seiten, gedruckt in Graustufen mit zumeist farbigem Umschlag. Inhaltlich bietet es eine „literarische Achterbahnfahrt“ (auch das ein programmatischer „Wortschau“-Begriff) mit Gedichten, Kurzprosa, Essays verschiedener Gastautoren, aber auch redaktionellen Beiträgen. Dabei gibt es einige feste Merkmale – so hat jedes Heft eine Hauptautorin oder einen Hauptautor – in Nr. 31 ist das die Dichterin Annette Hagemann aus Hannover –, die oder der jeweils mit einem Interview mit Standardfragen vorgestellt wird. Für visuelle Akzente sorgen neben Layout und Typographie, für die schon seit der Gründung Thorsten Keller, Art-Director einer Ettlinger Werbeagentur, die Verantwortung trägt, immer auch die über das gesamte Heft verteilten Werke eines Gastkünstlers. In der neusten Ausgabe zum Beispiel ist das Li Erben, die Grande Dame der deutschen Film- und Portraitfotografie, mit Portraits von Erich Kästner, Friedrich Dürrenmatt, Nadja Tiller, aber auch ganz normalen Passanten in Paris, Florenz oder Kopenhagen. Ebenfalls ein „Wortschau“-Prinzip ist, wie Allinger erläutert, dass sich alle Beiträge jeweils einem vorgegebenen Thema unterordnen müssen: Dieses lautete in der Vergangenheit etwa „Worte ante Portas“, „Im Sumpf der Sprache – Hommage an Miss Verständnis“ oder „Der Kinski in Dir“ und ist damit so offen gehalten, dass sich sehr Vieles, Unterschiedliches unterbringen lässt. Alle Beiträge müssen allerdings, was der Herausgeber sehr bedauert, von den Autoren und Künstlern kostenlos zur Verfügung gestellt werden – denn die „Wortschau“ ist mit einer Auflage von 250-500 Stück im Grunde ein Non-Profit-Unternehmen, das durch den Verkaufspreis von 8 Euro pro Heft und einige Anzeigen-Kunden gerade so eine schwarze Null schreibe, so Allinger: „Wenn wir Glück haben, können wir einmal im Jahr davon essen gehen.“ Die kleine Auflage spricht aber keinesfalls für mangelnde Qualität – im Gegenteil. Die habe sich seit 2007, als er die „Wortschau“ gemeinsam mit dem Südpfälzer Autor Peter Reuter und vorwiegend regionalen Beiträgen auf den Weg brachte, sogar fortwährend gesteigert, zeigt sich Allinger überzeugt – ein Grund auch, warum das früher quartalsweise erschienene Magazin inzwischen nur noch drei Ausgaben pro Jahr hat. Der Abstimmungsprozess, die Auswahl aus den jeweils rund 100 Einsendungen aus ganz Deutschland, aber auch dem Ausland, brauche eben Zeit, so der Literaturfreund, der als selbständiger Coach und Unternehmensberater sowie Dozent an den Dualen Hochschulen in Mannheim und Karlsruhe ja auch noch einen Brotberuf zu bewältigen hat. Doch die „Wortschau“ liegt ihm sehr am Herzen, und die Entwicklung, die sie genommen hat, auch gerade, seitdem die Künstlerin und Autorin Johanna Hansen 2010/11 Peter Reuter als Mitherausgeberin abgelöst hat (weshalb deren Wohnort Düsseldorf heute als zweiter Redaktionssitz neben Neustadt fungiert), erfüllt ihn mit sichtlichem Stolz – ebenso wie der Umstand, dass die Zeitschrift zu ihrem exklusiven Abonnenten-Kreis auch die Universität Berkeley im fernen Kalifornien zählt. Früher habe man die Einsendungen „einfach ins Heft gestellt“, sagt er, heute werde jeder Text auf Herz und Nieren geprüft. So war die frühzeitige „Entdeckung“ von Dichtern wie Frank Norten, Martin Piekar oder Tobias Roth möglich, die inzwischen renommierte Lyrik-Preise erhalten haben. Auch eigene Beiträge von Allinger finden sich immer wieder in der „Wortschau“ – so ganz am Schluss der jüngsten Ausgabe ein Collage-Gedicht, das sich aus Wörtern aller auf den Seiten zuvor abgedruckten Gastbeiträge zusammensetzt. Die Liebe zur Literatur begleite ihn schon seit der Kindheit, sagt der 65-Jährige. Eigene Veröffentlichungen verwirklichte er aber erst in „Wortschau“-Zeiten, darunter als Debüt 2010 einen in Italien angesiedelten Band ineinander verflochtener Geschichten mit dem Titel „Reise nach Collodi“ oder eine Reihe um einen Pfeife rauchenden Tierdetektiv namens Jupp McGräte, eine Krimi-Parodie, die er für den Landauer Zoo entwickelte. Und erst am vergangenen Sonntag feierte in Bad Bergzabern ein Theaterstück zum Thema „Flower-Power in der pfälzischen Provinz“ seine Premiere, das er zusammen mit Ute Kliewer und Peter Reuter verfasst hat. Nach Neustadt kam Allinger übrigens über einen anderthalbjährigen Zwischenstopp in Haßloch, woraus sich erklärt, dass er die Neustadter Literaturszene schon seit längerem intensiv im Blick hat. So gehörte er im vergangenen Jahr auch zu den Gründungsmitgliedern des neuen Literatennetzwerks „Textur“. Bei dessen Lesungen hat er sich bereits mehrfach beteiligt – und auch sein „Kind“, die „Wortschau“, könnte nach seiner Vorstellung in Zukunft durchaus einmal groß in der Stadt herausgebracht werden. Traditionell gibt es nämlich zu jedem Heft auch eine Präsentationsveranstaltung. Die letzten fanden an klangvollen Orten wie dem Henry-van-de-Velde-Museum in Gera, dem „Haus der Romantik“ in Marburg oder dem Druckladen des Gutenberg-Museums in Mainz statt. So etwas wäre nach Allingers Aussage durchaus auch in Neustadt denkbar, wenn sich eine passende Location fände. Noch Fragen? Weitere Infos zur „Wortschau“ gibt es unter www.wortschau.com. Dort findet sich auch ein Bestellformular sowie ein „Literaturkanal“ mit Videos zu ausgewählten Beiträgen des Magazins.

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