Neustadt Wetten auf den Staatsbankrott

«Neustadt.» Der Krimi „Der Große Plan“ ist bereits der neunte Fall des Privatermittlers Georg Dengler, den der 1951 in Idar-Oberstein geborene heutige Stuttgarter Wolfgang Schorlau am Freitagabend bei Osiander vorstellte.

Dabei hatte sich der Erfolgsautor erst nach langer Berufstätigkeit als Manager einer Computerfirma mit 50 Jahren den Traum vom Schreiben erfüllt, doch schnell wurden seine zeitkritischen Krimis Bestseller, Verfilmungen folgten. So war es keine eine Überraschung, dass etwa 50 Gäste seine Lesung besuchten, überraschend eher, was ihnen Schorlau über den Hintergrund seines neuen Krimis, die Griechenlandkrise von 2010, berichtete. Der Autor kam zügig zur Sache, wirkte entspannt und blieb es auch in der anschließenden Diskussion; seine gefühlvolle Stimme wechselte beinahe unmerklich vom freien Vortrag ins Vorlesen und umgekehrt. Seine Auswahl gab die Vielschichtigkeit seines Romans gut wieder, den er, wie er sagte, wenige Monate vor dem Abgabetermin gänzlich umgestellt habe, weil er bei seinen Recherchen in Griechenland auf erschütternde Fakten aus der Zeit der deutschen Besatzung von 1941 bis 1943 gestoßen war. „Lektor und Verlag waren wenig begeistert, als ich mir mehr Zeit ausbat, ihnen entging das Weihnachtsgeschäft, aber sie stimmten zu, als ich ihnen die Gründe nannte. Die deutsch-griechische Geschichte ist ohne diese drei Jahre, die hierzulande aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht scheinen, unvollständig und nicht zu verstehen.“ Schorlau las eine der Rückblenden, die die Geschichte des SS-Offiziers Gero von Mahnke in Griechenland schildern. Warum nicht wenigstens die 476 Millionen Reichsmark der damaligen Zwangskredite an Deutschland, die sowieso niemals den Wert der von den Nazis geraubten Güter abdeckten, zurückgezahlt wurden, fragt der Autor. Schließlich sei jeder zehnte Mensch in Griechenland durch die Folgen der Besatzung ums Leben gekommen, Hunderttausende seien verhungert. Zurück in der Gegenwart beschreibt Schorlau einen heimtückischen Mord im Solarium ebenso wie die erste Begegnung und Affäre zwischen der Troika-Angestellten Anna Hartmann und dem griechischen Künstler Petros in Athen. Im Mittelpunkt des Abends aber steht die Griechenlandkrise als Schlüssel zur Frage, warum Anna Hartmann entführt wurde. Um die wirtschaftlichen Hintergründe darzustellen, ist Schorlau weltweit vielleicht der einzige Krimiautor, der seitenweise Kästchen malen darf: Ein winziges Quadrat entspricht hier ganzen 100 Milliarden Dollar. Der Wert der Geschäfte, die mit Wetten verdient werden, Derivate genannt, beträgt zweieinhalb Seiten dieser Kästchen, genug, um alles auf der Erde zwölfmal zu kaufen. Die Griechenlandkrise wurde zur Tragödie, als 2010 14 Vertreter großer Finanzinstitute billionenschwer gegen den Euro wetteten. Dafür machten sie Griechenland als schwächstes Glied der Eurozone aus und wetteten auf den Verfall griechischer Staatsanleihen. Deren Zinsen stiegen und stiegen, die Banken verdienten, während die Bevölkerung geschröpft wurde: „Niemand käme auf die Idee, den Menschen im Pfälzerwald die Renten zu kürzen, weil die Produktivität ihrer Region geringer ist als die von Ludwigshafen, aber genau das ist in Griechenland geschehen“, so Schorlau. „Skurril“ könnte man dazu sagen, wären da nicht der Ausverkauf des Landes und mangelernährte Kinder, Rentner, die im Müll wühlen, fehlende Perspektiven der unter 25-Jährigen, von denen noch immer über 40 Prozent arbeitslos sind. In der lebendigen Diskussion wurde deutlich, dass es wohl hauptsächlich zwei Gruppen von begeisterten Schorlau-Lesern gibt: Da sind jene, die seine Spannungsmomente, seinen Humor und die genauen Milieustudien lieben – so fragte etwa ein Besucher, wie er in das Wohnzimmer des in Stuttgart tatsächlich existierenden Mario käme, der dort manchmal Gäste bewirtet. Und dann sind jene, die den Autor wegen seiner mutigen Themenauswahl bewundern. Wobei hier allerdings auch ein eher unfreundlich vorgetragener Einwurf eines Besuchers kam: Bei den Themen, die Schorlau sich aussuche, müsse er doch ein völlig zerrüttetes Verhältnis zum Rechtsstaat haben. Dies wollte der Autor so nicht stehen lassen. Zwar habe er tatsächlich kein Vertrauen in bestimmte staatliche Strukturen wie den Verfassungsschutz, dessen Verflechtung mit der rechtsextremen Szene er „verbrecherisch“ nannte, er sei aber einer Ordnung dankbar, die ihn schreiben, veröffentlichen und vortragen lasse. Das sei von unschätzbarem Wert. Lesezeichen Wolfgang Schorlau: Der große Plan. Denglers neunter Fall. Kiepenheuer & Witsch, Taschenbuch, 488 Seiten,14,99 Euro.

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