Neustadt Tänze am Faden

Phil Bierbrauer und Melanie Marschall beim Puppenspiel.
Phil Bierbrauer und Melanie Marschall beim Puppenspiel.

«Neustadt.» Marionettentheater als bunt wechselndes Nummernprogramm gab es am Montagabend im Mußbacher Herrenhof. Die Augsburger Puppenkiste präsentierte mit „Varieté am Faden“ eine tänzerische, musikalische und akrobatische Szenenfolge. Eingeladen hatte das Dornerei-Theater bei seinem dritten Figurentheater-Festival.

Während gelenkige Bühnenwesen Kunststücke und Tänze aus aller Welt zeigen, folgen ihnen die Zuschauer im voll besetzten Saal der Parkvilla gebannt. Manchmal vergessen sie fast, dass hinter den Figuren aus Lindenholz Menschen aus Fleisch und Blut die Fäden führen. Die vier Künstler der Puppenkiste bleiben durchweg in offener Spielweise sichtbar. Melanie Marschall, Phil Bierbrauer, Katrin Freund und Hans Kautzmann, alle vor dunklem Bühnenhintergrund schwarz gekleidet, beherrschen spielerisch die Kunst, hinter ihren Figuren abzutauchen. Übrigens ist Melanie Marschall eine Urenkelin der Gründer der Augsburger Puppenkiste, wie Gastgeber Markus Dorner eingangs erwähnt. Als Walter und Rose Oehmichen 1948 das Theater gründeten, geschah dies nicht ohne Vorgeschichte: Vier Jahre zuvor war ihre kleine Marionettenbühne namens „Puppenschrein“ im Krieg zerstört worden. Doch das Markenzeichen, die berühmten Kistendeckel, öffneten sich wieder zu einem vielversprechenden Neuanfang. Ihre vielfältigen Bewegungen verknüpfen die Marionettenspieler gekonnt mit der begleitenden Musik. Rhythmisch klappen Münder auf und zu, wenn hölzerne Hände in die Saiten von Bouzouki oder Flamenco-Gitarre greifen. Da wird getrippelt und gestampft, da dreht und wirbelt es über die Bühne, da schwingen leichte Vogelflügel durch die Lüfte und kesse Mäuse quirlen und zappeln im Ballettröckchen oder lassen die Schwänze wackeln. Dass die Bühnenakteure übersteigern und Klischees bedienen, darf beim Figurentheater sein. Die Zuschauer amüsieren sich jedenfalls köstlich. In der scheinbaren Leichtigkeit des Fadenspiels gefallen Cancan-Tänzerinnen mit hohen Beinwürfen und Hüftschwung. Zum kraftvollen Kasatschok der Kosaken gehören Sprünge aus der Hocke und das Zusammenschlagen der Absätze. Und natürlich muss es beim bayerischen Schuhplattler auf der Bühne ordentlich klappern. Auch tiefgründig geht es zu: Ein artistisches Tanz- und Liebespaar schmachtet mit Hebefiguren zu schicksalsschweren Klängen. Das wirkt so gewagt, dass man als Zuschauer schon fürchtet, ihre Fäden könnten sich heillos verheddern. Aber zum Glück geht alles gut. Dann zaubert ein melancholisch in sich gekehrter Weißclown aus seinen Manteltaschen selbst ein Handpuppenspiel mit Kasper und Krokodil hervor. Für Überraschungen sorgt auch der Gewichtheber im neckischen Streifendress. Kurzerhand funktioniert er seine überschwere Langhantel zu Reck und Trapez um und zeigt entgegen dem Gesetz der Schwerkraft, dafür mit unerhörter Leichtigkeit artistische Schwungübungen. Was man mitunter vermisst, sind Überleitungen zwischen den Szenen, wie sie eigentlich ein Conférencier in Kabarett und Varieté leistet. So werden die Darbietungen einfach aneinandergereiht. Dennoch: Jede von ihnen wirkt für sich und lässt mit reichem Ausdruck die Grenzen zwischen Mensch und Marionette verschwimmen.

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