Neustadt Staubsauger und Koloraturen

Das Aschenputtel muss im Haushalt schuften: Clorinda (Seunghee Kho, Mitte) und Tisbe (Rosario Chavez, rechts) drangsalieren ihre
Das Aschenputtel muss im Haushalt schuften: Clorinda (Seunghee Kho, Mitte) und Tisbe (Rosario Chavez, rechts) drangsalieren ihre Stiefschwester Angelina (Polina Artsis), wie sie nur können.

«Neustadt». „La Cenerentola“ gilt neben dem „Barbier von Sevilla“ als Gioacchino Rossinis beliebteste Oper und als Meisterwerk des Belcanto: Nach über 20 Jahren ist dem Pfalztheater Kaiserslautern eine spritzige Neuinszenierung der Aschenputtel-Oper gelungen, die nach der umjubelten Kaiserslauterer Premiere im Februar jetzt am Dienstag in italienischer Originalsprache auch zum Abschluss der Schauspielsaison im Neustadter Saalbau zu bewundern war.

Eines vorweg: Wer spritzige und unbeschwerte Unterhaltung schätzt und das nötige Sitzfleisch für den dreistündige Gesangsmarathon mitbrachte, befand sich am Dienstagabend im Saalbau am richtigen Ort. Und auch wenn der berühmte musikalische Funke anfänglich nicht so recht überspringen wollte und das Publikum sich zunächst mit Zwischenapplaus merklich zurückhielt, darf man durchaus von einer gelungenen Aufführung sprechen. Regisseur Urs Häberli erzählt die alte Geschichte vom armen Aschenputtel und seinen beiden missgünstigen Stiefschwestern mit viel Raffinesse, Ironie und komödiantischem Feingefühl. Und so waren nach einer kurzen Aufwärmphase doch auch die Opernfreunde ähnlich gut aufgelegt wie die Darsteller auf der Bühne. Was hätte wohl Rossini dazu gesagt? Zunächst erlebt man das Aschenputtel Angelina in zerlumpter Kleidung den Staubsauger schwingend im Wohnzimmer des Barons Don Magnifico, derweil die beiden etwas pummeligen, sich wohlig auf dem Sofa räkelnden tumben Stiefschwestern mit ihrem gehässigen Gegackere ihre besondere Grazie verraten. Als hellster Stern des Abends erweist sich Polina Artsis in der Rolle der Titelheldin: Sie vermittelt von Anfang an als Königin der Koloratur eine grandiose Vorstellung von der hohen Kunst des Belcanto. Es ist das Reich der irrwitzig schnellen Tempi mit seinen sprudelnden Koloraturen, raschen Trillern, im Stakkato-Stil ausgeführten Zungenbrechern und schwindelerregenden Höhen. Angesichts eines solch stimmlichen Übergewichts hatten es insbesondere die Männer schwer, allen voran Richard Morrison in der Rolle des als Prinz von Salerno verkleideten Dieners Dandini. Besser gefiel die kraftvolle Bassstimme von Bartolomeo Stasch als Alidoro, Don Ramiros Lehrer. Ganz nebenbei: Besonders auf ihre Kosten kamen die Freunde des sogenannten „Quick change“, des raschen Kleiderwechsels. Für den gelungenen und üppigen Mix aus prachtvollen Gewändern und einfachen, zeitgenössischen Alltagsklamotten, überhaupt für das farbenprächtige, auf klare Linien und Symbolik bedachte, nicht zu üppige Bühnenbild zeichnete Marcel Zaba verantwortlich. Und Anton Legkii lotste das Pfalztheater-Orchester sicher und mit Schwung durch die anspruchsvolle Partitur. Zurück zu den Stars des Abends: Durchweg solide besetzt die Männerstimmen, die allesamt angesichts der halsbrecherischen Verzierungen bemerkenswert sicher agierten, aber sich leider klanglich nicht immer gegen den üppig auftrumpfenden Orchesterapparat durchsetzen konnten, dafür aber darstellerisch absolut überzeugten, allen voran Richard Morrison als aufgeblasener, eitler und selbstverliebter Dandy, in den sich unser Aschenputtel aus nachvollziehbaren Gründen nicht so recht verlieben mochte. Dafür schafft dies Daniel Kim in der Rolle des Prinzen, der wie gesagt zunächst als Diener verkleidet für Schmetterlinge im Bauch der künftigen Prinzessin sorgte. Mit Daniel Kim verfügt das Pfalztheater über einen absolut höhensicheren Tenor. Mit seiner perfekt gesteuerten Phrasierung und seiner großen Beweglichkeit bei strahlendem Timbre demonstriert er das Potenzial eines aufstrebenden Rossini-Tenors – zusammen mit Polina Artsis erlebt das Publikum in den berühmten „Cenerentola“-Duetten ein wunderbar klangschönes Liebespaar, das musikalisch und darstellerisch weit mehr zu bieten hatte, als das Abspulen halsbrecherischer Koloraturen. Den größten Kraftakt aber meisterte der mit Bauchkissen ausstaffierte Michael Lion in der Rolle des Vaters Don Magnifico, der mit sonorer väterlicher Stimme augenzwinkernd die Szenerie durchleuchtete und dabei großes komödiantisches Talent unter Beweis stellte. Überhaupt lotet die Kaiserslauterer Inszenierung immer wieder die Grenzen zum musikalischen Slapstick aus. Unvergessen die Regenschirmszene im zweiten Akt, wenn echtes Wasser auf das Kern-Ensemble herabprasselt, die Bühne in Blitz und Nebel taucht und ein hereinrollender Autoreifen vom Unfall des Prinzen mit der Kutsche erzählt. Die temperamentvollen und darstellerisch überzeugenden Auftritte von Seunghee Kho und Rosario Chávez als um die Gunst des Prinzen buhlenden, stets um die passende Abendkleidung bemühten Stiefschwestern bereiteten dabei ebenso gute Laune wie der herrlich auftrumpfende, die Dienerschaft verkörpernde Männerchor. Es muss einmal ganz deutlich gesagt werden: Auf diesen wunderbaren Klangkörper darf das Pfalztheater richtig stolz sein. Apropos musikalischer Slapstick: Nicht alle Töne stammten an diesem Abend aus der Feder Rossinis: So garnierte das Cembalo vom Orchestergraben das Operngericht immer wieder mit skurrilen Ingredienzen zum Beispiel in Gestalt des „Entertainers“ von Scott Joplin oder des Hummel-flugs von Nicolai Rimski-Korsakow ganz nach dem Motto „Erlaubt ist, was Spaß macht!“ Fazit: formidable!

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