Neustadt Spiel mit den Kontrasten

Von „himmlischen Längen“ ist meist die Rede, wenn man von Schuberts Klaviersonaten spricht. Dass das nicht falsch ist, bewies die vor allem als Beethoven-Expertin bekannte Neustadter Pianistin Verena Börsch am Sonntag bei ihrem bis auf den letzten Platz besetzten Parkvilla-Konzert im Herrenhof, das den Auftakt zu einer Reihe mit Klavierkonzerten zum Spätwerk des Romantikers bilden soll.

«Neustadt-Mussbach.»Beethoven und Schubert: Beide seien Kinder ihrer Zeit, erklärt die Pianistin in ihrer Einführung. Beethoven ein Rebell, der drei Jahrzehnte später geborene Schubert geprägt von der Restauration. Der eine komponiert prozesshaft und zielorientiert, der andere ist ein Suchender, ein rastloser Wanderer, einer, der manchmal den Weg nicht findet und daran immer wieder zu verzweifeln droht. Verena Börsch interessiert sich sehr dafür, welcher Mensch hinter den Werken steht, die sie spielt. Das hört man auch, wenn sie am Klavier loslegt. Ihre intellektuelle, von großer Ernsthaftigkeit und Akribie geprägte Auseinandersetzung mit dem Komponisten und seiner Zeit erlaubt ihr ein tiefes Eindringen in die geheimnisvollen Schubert’schen Klangwelten. Und das beginnt nicht etwa mit den besagten Klaviersonaten, jenen monumentalen Klanggebilden, die nach Ansicht mancher Musikhistoriker eher an Klavierauszüge von Sinfonien erinnern, sondern mit den ungleich bekannteren Impromptus. Die kleinen musikalischen Gedichte werden oftmals als Klavierfutter für Schüler missbraucht – Börsch zeigt dem Publikum, dass die Impromptus in c-Moll, Es-Dur und As-Dur weit mehr als Etüden sind, sondern hier bereits die ganze emotionale Bandbreite der Sonaten angelegt ist. Ein harter Akkordschlag eröffnet das Konzert. Es folgt eine liebliche Melodie. Zuckerbrot und Peitsche lautet das Prinzip des Abends. Was vorher freundlich wirkte, wird plötzlich bedrohlich und umgekehrt. Im Spiel mit starken Kontrasten entwickelt Verena Börsch eine elektrisierende Leidenschaft, die sich unmittelbar aufs Publikum überträgt und die tragische Gestalt Schubert in all ihren Facetten vor dem geistigen Auge wiederauferstehen lässt. Poesie in ihrer strahlendsten Form ist das berühmte Impromptu in As-Dur. Man kennt es vom Klavierunterricht und erfährt von Börsch, dass es nicht nur eine Arpeggienstudie für die rechte Hand ist, sondern wunderbare Musik. Für die Impromptus eignet sich das Wohnzimmer der Parkvilla bestens, nicht aber für die eher für größere Konzertsäle bestimmten späten Klaviersonaten. Ungeachtet ihrer noblen Anschlagskultur überraschen Börschs zierliche Hände mit einer Kraft und Härte, die zuweilen die Akustik der bescheidenen Räumlichkeit zu sprengen droht. Spröde, düster, geradezu schmucklos und karg klingt der Beginn der Sonate in a-Moll. Hier hat er für seine Sinfonien geübt. Manchmal hört man den „typischen“ Schubert heraus. So klingt Österreich: volkstümlich, ländlich, tänzerisch, zuweilen gar ein wenig derb und rustikal. Aber da gibt es neben dem braven „Schwammerl“, wie ihn seine Freunde liebevoll nannten, noch den jugendlich ungestümen Hitzkopf. Beethoven lässt grüßen. So erzeugen die raschen Wechsel zwischen üppigem Tastendonner und biegsamen Klaviergesang aufregende Klangerlebnisse. Schuberts Klaviersonaten sind langatmig? Verena Börsch lehrt: Langeweile klingt anders. Und soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass die Pianistin auf Noten verzichtete? In diesem Falle vielleicht schon, denn gerade bei den endlos langen Schubert-Sonaten nutzen selbst manche Weltstar-Pianisten die Partitur als Gedächtnisstütze. In der G-Dur-Sonate hat Schubert endgültig zur Länge gefunden. Es ist ein von sinfonischen Ausmaßen geprägtes Werk, in dem sich der Komponist sehr viel Raum und Zeit für die Entwicklung seiner Ideen lässt. Das eröffnende Molto moderato e cantabile gehört zu seinen schönsten lyrischen Entwürfen; im Andante legt Börsch ein klares Bekenntnis zur Romantik ab; im Menuett entfaltet sie würdevoll rhythmische Energie; rustikale Frische und fesselnde Intensität prägen die Interpretation des Finalsatzes. Schubert, ein angepasstes Kind der Restauration? Nein, es ist ein seiner Zeit weit vorauseilender, in der Form an Bruckner und in der kühnen Harmonik manchmal an Wagner erinnernder Schubert, den Börsch präsentiert. Sie tut es, ohne dabei angesichts der unendlichen Längen den roten Faden zu verlieren. Wir freuen uns auf die Fortsetzung.

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