Neustadt Sie können auch Jazz

Bei den Konzertsuiten zu Bernsteins „West Side Story“ und Gershwins „Porgy and Bess“ erweiterte sich das „Mandelring Quartett“ m
Bei den Konzertsuiten zu Bernsteins »West Side Story« und Gershwins »Porgy and Bess« erweiterte sich das »Mandelring Quartett« mit dem Klarinettisten Michel Lethiec und Jens Bomhardt am Kontrabass zum Sextett.

«Neustadt». Ein Adventskonzert ohne Adventsmusik, dafür ein aufregendes amerikanisches Crossover mit außergewöhnlichen Interpreten: Das waren die Zutaten des vom Publikum begeistert aufgenommenen zweiten Saisonkonzerts der Neustadter Klassik-Reihe am Sonntagabend im gut besuchten Saalbau, zu dem das „Mandelring Quartett“, unterstützt von dem Weltklasse-Klarinettisten Michel Lethiec und dem Kontrabassisten Jens Bomhardt, unter dem Motto „Mandelring plus…“ eingeladen hatte.

Erfreulich viele Schüler der Streicherklasse des Kurfürst-Ruprecht-Gymnasiums, an dem Nanette Schmidt vom „Mandelring Quartett“ vertretungsweise unterrichtet, nahmen das Angebot ihrer Lehrerin zum kostenlosen Besuch des Konzerts wahr. Einige wohnten erstmals einem Klassik-Konzert bei – und sie sollten es, und das gilt auch für die erwachsenen Hörerinnen und Hörer, nicht bereuen. Der musikalische Grenzgang zwischen Klassik und Jazz startete nicht wie angekündigt mit der Konzertsuite für Klarinette und Streichquintett über Themen aus der Oper „Porgy and Bess“ von Gershwin, sondern mit der für die gleiche Besetzung arrangierten Konzertsuite über Bernsteins „West Side Story“. Und das war auch gut so, denn wie heißt es so schön: „Das Beste kommt zum Schluss!“ Klassisches Streichquartett und Musical: Wie geht das zusammen? Mit ihrem amerikanisch gewürzten Grenzgang zwischen U- und E-Musik begab sich das normalerweise auf die „hohe“ Klassik spezialisierte „Mandelring Quartett“ auf eher unbekanntes Terrain. Entsprechend groß war die Spannung, mit welchem Sound das Ensemble und seine beiden Gäste aufwarten würden. An dieser Stelle eines vorweg: Großen Respekt vor dem mit jugendlicher Energie aufspielenden „Mandelring Quartett“. Sie können auch anders. Sie können auch Jazz. Wer sie über die Jahre hinweg beobachten durfte, wird einmal mehr den Eindruck bestätigt sehen, dass diese Formation sich neben aller spieltechnischen Perfektion und musikalischer Ausdruckstiefe vor allem durch ihre stilübergreifende Wandlungsfähigkeit auszeichnet. Und die wurde in eindrucksvoller Weise von dem Franzosen Michel Lethiec und seiner Rolle als Schlangenbeschwörer an der Klarinette unterstützt. Als geradezu hypnotisch für die Mitstreiter und das zeitweise regelrecht aus dem Häuschen geratene Publikum entpuppte sich das elektrisierend und ansteckend kommunikative Spiel des zierlichen Franzosen. Hier scheinen Mensch und Instrument eine untrennbare Einheit zu bilden. Wie eine Verlängerung des Körpers wirkt seine Klarinette und die seelenvollen Töne, die er seinem geliebten Instrument entlockt, ähneln in fast unheimlicher Weise der menschlichen Stimme. Eine Steilvorlage bietet diesbezüglich die Partitur Bernsteins beziehungsweise deren geschickt inszenierte Uminstrumentierung von David Walter, die es schafft, die perkussiven Elemente des rhythmisch vertrackten Urtextes in Streicherklang umzuwandeln. Das erfordert ein gutes Gespür für unterschiedlichste Klangfarben. Der mit seinerzeit in Mode gekommenen Tänzen wie Mambo oder Cha-Cha-Cha beginnende Streifzug durch die bunte Partitur erfährt seinen ersten Höhepunkt im Liebeslied „Maria“, diesmal nicht vorgestellt von der Klarinette, sondern butterzärtlich von Bratschist Andreas Willwohl. Die Ironie, die dahinter steht: Es gibt in der „West Side Story“ keine Bratschen. Kurz vor der Uraufführung verabschiedete Leonard Bernstein das komplette Register wegen seines „jämmerlichen Spiels“ mit dem Kommentar „Was würdet ihr Jungs davon halten, wenn wir die Bratschenhuberts einfach loswürden?“ Zwar sehr leidenschaftlich, aber nicht ganz so liebreizend wie zuvor Clara Seibt beim Einführungsvortrag von Jörg Sebastian Schmidt, bei dem sich die Tochter von Nanette Schmidt, begleitet von ihrem Großvater, als künftiger Musicalstar empfahl, serviert Michel Lethiec den Song „I feel pretty“. Doch der Experimente nicht genug: Auf eine wohlwollende Resonanz seitens des Publikums hoffte Sebastian Schmidt bei der Premiere der 1973 komponierten „Traveling Music No. 4“ für Streichquartett des Amerikaners Ken Benshoof mit Verweis auf die verwendeten Notenblätter im XXL-Format. „Damit man auch die anderen Stimmen mitlesen kann und ungefähr weiß, wann man wieder dran ist“, bemerkt der Primarius des Quartetts. Einzig und allein sein Bruder Bernhard, der das Stück auch vorgeschlagenen hatte, spielt aus einer normalen Stimme und verkündet in bester Streber-Manier: „Brauch ich nicht, ich hab’s auswendig gelernt“ - worauf ihm sein Bruder die Noten vom Pult reißt. Ernster geht’s dann nach der Pause mit dem besagten Gershwin-Arrangement weiter. Und wieder ist es Michel Lethiec, dem als charismatischer Hauptimpulsgeber ungeachtet des dramatischen Hintergrunds der Story ständig der Schalk im Nacken sitzt, der dabei das „Mandelring Quartett“ und Kontrabassist Jens Bomhardt mit provozierenden Blicken und Bewegungen immer wieder keck herausfordert, als wolle er sagen: „Na, wie lautet deine Antwort auf meine Frage, was willst du uns sagen?“ Höhepunkt des Abends ist der aus einer Abfolge von Gershwin-Hits wie „Summertime“, „I got plenty o’ nothin’“ und „It ain’t neccessarily so“ bestehende Schlusssatz, mit dem das Sextett zahlreiche Zwischenapplause erntet und gegen Ende eine Zugabe herausfordert. „Wir haben zwar kein Klavier“, erläutert Sebastian angesichts der für Piano gesetzten „Preludes“ von Gershwin, „dafür aber einen Klarinettisten“. Und was für einen!

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