Neustadt Scharfer Blick in menschliche Abgründe

Man findet sich von Anfang an nicht wirklich sympathisch, glaubt aber doch noch irgendwie an die zivilisierende Kraft der Kultur
Man findet sich von Anfang an nicht wirklich sympathisch, glaubt aber doch noch irgendwie an die zivilisierende Kraft der Kultur: Doch als sich Annette (Nadine Ibelshäuser, Mitte links) auf Veronikas (Katrin Reif) geliebte Kunstbildbände übergibt, ist die nächste Eskalationsstufe erreicht. Die Ehemänner Michael (Andreas Müller, links) und Achim (Siegfried Kralik) greifen den Fehdehandschuh bei der Probe im Keller der Villa Böhm gerne auf.

«NEUSTADT». Es ist zweifellos Yasmina Rezas erfolgreichstes Stück: Schonungslos deckt die französische Theaterautorin in ihrem 2006 in Zürich uraufgeführten Kammerspiel „Der Gott des Gemetzels“ („Le Dieu du Carnage“) menschliche Schwächen auf. Grund genug für die Neustadter Schauspielgruppe, es im Wintertheater 2018 zu präsentieren. Unter der Regie von Matthias Ibelshäuser wird am 23. Februar im Theater „Katakombe“ Premiere gefeiert.

Die Proben im Keller der Villa Böhm laufen auf Hochtouren, die vier Darsteller agieren hochkonzentriert und mit Verve. Dass dieses Stück quasi zweite Wahl ist, lässt sich keineswegs erkennen. Doch ursprünglich hatte das Ensemble die Proben für Samuel Becketts „Warten auf Godot“ bereits fast abgeschlossen, als sich herausstellte, dass der Autor verfügt hatte, dass das Stück nicht mit Frauen besetzt werden darf (wir berichteten). „Das zog uns den Teppich unter den Füßen weg“, kommentiert Ibelshäuser rückblickend im Gespräch. Das Wintertheater ausfallen zu lassen, kam nicht in Frage. Ein Stück mit einem völlig anderen Ensemble aufzuführen, war in der Kürze der Zeit unmöglich. Doch zum Glück hatten sich Nadine Ibelshäuser und Katrin Reif bereits für das Beckett-Stück „warm gelaufen“, so dass der Regisseur, der Rezas Stück bereits zuvor „im Hinterkopf“ hatte, es als Ersatz vorschlug. Als dann auch noch Siegfried Kralik und Andreas Müller spontan für die beiden Männer-Rollen zusagten, war ihm klar: „Mit den alten Kämpen wird es funktionieren“. Und tatsächlich, es funktioniert, wie der Blick „hinter die Kulissen“ zeigt. Ziel seiner Inszenierung sei es, „Unterhaltung mit Gehalt“ zu bieten und peinliche Leute bloßzustellen, erklärt Ibelshäuser mit dem ihm eigenen Humor. „Das Stück soll unterhalten, aber nicht wie das ,Dschungelcamp’, und es soll erschrecken, aber nicht wie ein Horrorfilm.“ Auf den ersten Blick bietet sich dem Zuschauer ein alltägliches Szenario, in dem scheinbar ganz normale Menschen (in dieser Inszenierung mit deutschen Namen) aufeinandertreffen. Veronika und Michael Müller (Katrin Reif und Andreas Müller) haben das Ehepaar Baselitz eingeladen, um in aller Ruhe über eine tätliche Auseinandersetzung zwischen ihren Söhnen zu sprechen. Auf dem Spielplatz war es zu einem Kampf zwischen den beiden Elfjährigen gekommen, bei dem Justin Baselitz mit einem Stock Dennis zwei Zähne ausschlug. Beide Ehepaare sind zunächst guten Willens, befürworten die Versöhnung der Kinder. Doch die Situation heizt sich kontinuierlich auf. Das zögerlich anlaufende Gespräch zur Aufarbeitung des Vorfalls wird permanent durch das Handy von Achim Baselitz (Siegfried Kralik) unterbrochen. Bruchstückweise kommt heraus, dass er als Anwalt eine Pharma-Firma vertritt, die einem gerade erschienenen Zeitungsartikel zufolge bewusst ein Medikament mit verheerenden Nebenwirkungen verkauft. Zunehmend genervt, lassen die einzelnen Personen die Maske des Anstands fallen. Die Situation eskaliert. Als Veronika von Annette wissen will, ob sie ihren Sohn bestrafen werde, wird es dessen Mutter übel, sie muss sich übergeben. Diese sich noch mehrfach wiederholende Szene ist für jede Darstellerin dieser Rolle eine Herausforderung, die Nadine Ibelshäuser souverän meistert – wie sie später auf Nachfrage verrät, mit Hilfe von Haferflocken und Milch. Alles steuert auf einen Eklat zu, und tatsächlich verwandeln sich die scheinbar so kultivierten Menschen in kleine Ungeheuer, die aufeinander losgehen. Der archaische „Gott des Gemetzels“, an den Achim fest glaubt, trägt den Sieg davon. Oder kann es nach diesen Entgleisungen doch noch zu einem Konsens zum Wohl der Kinder kommen? Bei der Premiere werden es die Zuschauer erfahren ... Übrigens war diese schwarze Komödie – obwohl jetzt gerade einmal zwölf Jahre alt – bereits zweimal in Neustadt zu sehen, einmal vor fast zehn Jahren in einer Tourneetheater-Produktion im Saalbau und 2013, vom „Theater Min Ko“ inszeniert, im Herrenhof Mußbach. Und 2011 wurde der Stoff von Roman Polanski mit Kate Winslet, Christoph Waltz, Jodie Foster und John C. Reilly auch auf die große Leinwand gebracht. TERMINE Die Neustadter Schauspielgruppe feiert am 23. Februar, 20 Uhr im Theater „Katakombe“ im Jugenddorf, Sauterstraße 6, Neustadt, Premiere mit Yasmina Rezas Stück „Der Gott des Gemetzels“. Weitere Aufführungen sind dort jeweils um 20 Uhr am 24. Februar, 9., 10., 16. und 17. März. Karten (15 /12 Euro) gibt es bei Tabak Weiss in Neustadt.

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