Neustadt Pfälzer Pionierarbeit im Eistal

Im Mai 1994 erregte das Eistal mit der ersten Reaktivierung einer Bahnstrecke bundesweit Aufsehen. Das Jubiläum wird heute gefeiert – und zwar in Mertesheim, das bei der Wiederinbetriebnahme der Eistalbahn eine in mehrfacher Hinsicht besondere Rolle gespielt hat.

Der Mertesheimer Ortsbürgermeister Gerhart Schreiner (CDU) war vor rund 20 Jahren der einzige, der in seinem Gemeinderat erhebliche Widerstände zu überwinden hatte, um die Zustimmung zur finanziellen Beteiligung der Gemeinde an den Kosten der Bahn-Reaktivierung zu erreichen. Bei der entscheidenden Gemeinderatssitzung wurde unter anderem die besorgte Frage gestellt, ob die Gemeinde durch ihren finanziellen Beitrag Aktionär der Deutschen Bahn AG werde. Gerhart Schreiners Namensvetter Werner, der Nahverkehrsexperte aus Neustadt, war eigens nach Mertesheim gekommen, um den Ratsmitgliedern Rede und Antwort zu stehen. Der RHEINPFALZ-Bericht über die kuriose Mertesheimer Ratssitzung trug den Titel „Zwei Schreiner holen die Kuh von Gleis“. Der Fall Mertesheim war aber eine absolute Ausnahme. In allen anderen Kommunalparlamenten gab es einen breiten Konsens zugunsten der Bahnreaktivierung. Dies war ein entscheidender Grund dafür, dass von den diversen Projekten für die Wiederinbetriebnahme von Bahnstrecken, die es Anfang der 1990er-Jahre gab, das im Eistal als bundesweit erstes Wirklichkeit wurde. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Karl-Geert Kuchenbecker, der Leiter der Verkehrsabteilung im Mainzer Wirtschaftsministerium, waren damals entschlossen, den regionalen Schienenverkehr mit dem Rheinland-Pfalz-Takt auf ein bis dahin völlig ungekanntes Niveau zu bringen. Nirgendwo im Land fanden sie damals für ihre Pläne so aufgeschlossene Kooperationspartner wie im Landkreis Bad Dürkheim. Dort waren Landrat Georg Kalbfuß (SPD) und Werner Schreiner bereits ein eingespieltes Team, seit sie gut zehn Jahre zuvor die von der Bundesbahn geplante Stilllegung der Bahnstrecke von Neustadt nach Bad Dürkheim abgewendet hatten. In verschiedenen Funktionen hatte Schreiner sich dank Fachkompetenz und Geschick das Vertrauen vieler Politiker erworben und Stück für Stück Verbesserungen des Bahnverkehrs erreicht. Dazu gehörte nicht zuletzt ein kommunal finanzierter Sonntagsverkehr auf der Bahnstrecke von Neustadt nach Grünstadt. Als das Land mit der Bahn vereinbarte, dass diese Strecke Teil der ersten Linien mit Rheinland-Pfalz-Takt wurde, kam Schreiner auf die Idee, die bisher für den Sonntagsverkehr gezahlten kommunalen Mittel stattdessen für die Personalkosten des Stellwerks im Nordkopf des Grünstadter Bahnhofs zu verwenden, das gebraucht wurde, um die Strecken nach Eisenberg und Monsheim wieder in Betrieb zu nehmen. Schreiner gelang es, die betroffenen Kommunalpolitiker von diesem Konzept zu überzeugen. Hilfreich war dabei, dass sie ja nichts zusätzlich zu bezahlen brauchten, weil sie das, wofür sie bisher bezahlt hatten, nun dank Rheinland-Pfalz-Takt kostenlos bekamen. Der Sonderzug von Eisenberg nach Neustadt, mit dem am 26. Mai die Strecke Grünstadt–Eisenberg reaktiviert wurde, war gleichzeitig der offizielle Startschuss für den Rheinland-Pfalz-Takt. Die Deutsche Bahn (DB) hatte im Vorfeld der Streckenreaktivierung mehr Probleme gemacht als gelöst. Der damalige DB-Personenverkehrschef Heinz Neuhaus ging am 26. Mai kurz vor Abfahrt des Sonderzugs öffentlich in Sack und Asche und sagte: „Ganz, ganz herzlichen Dank und Bravo den Vertretern der hiesigen Kommunen, die sich durch nichts, auch nicht durch die anfangs zögernde Bahn haben entmutigen lassen.“ Die Prognose von Neuhaus, dass „Grünstadt–Eisenberg“ zu einem Synonym für die Renaissance der Bahn im Nahverkehr werden und es in den nächsten Jahren weitere Streckenreaktivierungen geben werde, erwies sich als richtig. Schon ein Jahr später folgten die Abschnitte von Grünstadt nach Monsheim und von Eisenberg nach Ramsen, bald danach die Strecke von Winden nach Bad Bergzabern und im März 1997 die erste grenzüberschreitende Linie von Winden ins elsässische Weißenburg. Eine ganze Reihe von Reaktivierungen stillgelegter Bahnstrecken hat es danach auch in anderen Bundesländern gegeben, unter anderem in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Was Grünstadt–Eisenberg im Rückblick von allen anderen unterscheidet, war die inoffizielle Devise „spottbillig und blitzschnell“. Neue Bahnsteige wie in Grünstadt-Nord wurden erst einmal mit einfachen Mitteln angelegt. Das sah nicht grandios aus, aber immerhin fuhren schon mal die Züge. Der Ausbau der Bahnsteige auf der Eistalbahn erfolgte erst 2001. Den Mertesheimer Ortsbürgermeister Gerhart Schreiner, der im Juni 1994 mit über 82 Prozent wiedergewählt wurde, kostete der Zoff in seinem Gemeinderat um die Bahn damals viel Nerven, aber er konnte sich später von den Mertesheimern bestätigt fühlen und hatte dann eine tolle Idee, wie sein Dorf sogar noch eine Starrolle bei der Eröffnung spielen konnte. Als 1994 die stark rabattierte Karte ab 60 eingeführt werden sollte, stellte der Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN) die Bedingung, dass eine Mindestanzahl von Karten bestellt werden musste. Während manche Gemeinden Mühe hatten, die geforderten Zahlen zu erreichen, wurde der Wert in Mertesheim mit 500 Prozent grandios übererfüllt. Statt dem geforderten einen bestellten gleich fünf Mertesheimer die Karte ab 60. Als am 26. Mai der Sonderzug von Eisenberg nach Neustadt fuhr, gab es außer den diversen Politikern von Land, Kreis und Kommunen noch andere Fahrgäste: Mertesheimer Grundschulkinder, die von der Schule in Ebertsheim nach Hause fuhren und am Mertesheimer Bahnhof von ihrem Bürgermeister empfangen wurden. Somit hatte nicht nur ein Schreiner (Werner aus Neustadt), sondern auch der andere (Gerhart aus Mertesheim) am 26. Mai 1994 einen großen Tag. Heute gibt es in Mertesheim rund um die Verleihung des Prädikats „Wanderbahnhof“ zwischen 10 und 17 Uhr ein buntes Programm. Landrat Hans-Ulrich Ihlenfeld will um 13.37 Uhr mit dem Zug aus Grünstadt in Mertesheim eintreffen.

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