Neustadt Neustadt: Müllskandal und kein Ende – jetzt wehrt sich Gerst

In Riesensäcken war der gefährliche Abfall Teerkork in die Altdeponie eingebaut worden.
In Riesensäcken war der gefährliche Abfall Teerkork in die Altdeponie eingebaut worden. Archivfoto: Stadt

Die Gerst Recycling GmbH ist es leid: Sie will nicht länger als Sündenbock im Neustadter Müllskandal herhalten. Gegenüber den Stadtratsmitgliedern bezieht sie nun Stellung – und hofft darauf, dass sich beim Abfallwirtschaftszentrum noch etwas bewegt. Die Erfolgsaussichten aber scheinen gering.

Aus Sicht des Unternehmens Gerst wurde eine unsichtbare Linie überschritten: Ende Oktober hatte der Stadtrat zugestimmt, dass die Mittel für Rechtsstreitigkeiten mit Gerst von 200.000 auf 500.000 Euro aufgestockt werden, weil die Kosten explodieren. Die Begründung: Eine gütliche Einigung sei trotz allen Bemühens nicht möglich gewesen. „An uns lag das aber nicht“, weist Andreas Gerst, Geschäftsführer von Gerst Recycling, den damit verbundenen Vorwurf im RHEINPFALZ-Gespräch zurück. Sein Motto sei immer gewesen, „wir bekommen das zusammen hin“. Stattdessen aber seien Gerst Recycling und Massivbau regelrecht kriminalisiert worden. Vorneweg Klaus Klein, Werkleiter des städtischen Eigenbetriebs Stadtentsorgung Neustadt (ESN), habe konstruktive Lösungen torpediert, aber auch die Anwälte – „und haben damit eine Schadensminderung zum Wohl beider Seiten verhindert“. So steht es auch in einer Erklärung, die Gerst jetzt an den Stadtrat verschickt hat.

Verschiedene Ebenen

Die Auseinandersetzung zwischen Stadt/ESN und Gerst läuft auf verschiedenen Ebenen. Ausgangspunkt war die illegale Abfallbeseitigung auf der Altdeponie Haidmühle. Die Hausmüll- und Bauschuttdeponie Haidmühle/Maifischgraben war vor gut 40 Jahren geschlossen worden. Der Bereich Haidmühle wurde ab 2013 von der Gerst Massivbau saniert, die dafür die Gerst Recycling in Anspruch nahm. Gerst Recycling hatte zuvor ab den 1980er-Jahren ein Abfallwirtschaftszentrum (AWZ) im Maifischgraben mit dem Schwerpunkt Bauschutt errichtet – das Firmengelände ist von der Stadt gepachtet. Genehmigungsbehörden für die verschiedenen Anlagen sind baurechtlich die Stadt, beim Immissionsschutz ist es die Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Süd.

Anzeige im Sommer 2017

Die SGD hatte im Sommer 2017 Anzeige gegen unbekannt wegen illegaler Abfallablagerung auf der fast fertigen Haidmühle bei der Staatsanwaltschaft Frankenthal erstattet. Im Fokus steht der frühere Betriebsleiter von Gerst Recycling. Bei der Rekultivierung der Deponie hätte nur Material verwendet werden dürfen, das dort lagerte. Stattdessen wurde frischer Abfall gefunden, darunter jener des Lidl-Abrisses in der Talstraße. Vieles wurde – unter Aufsicht – von Gerst auf eigene Kosten ausgebaut. Eine große Wunde klafft seither im Deponiekörper, und es muss noch weiter gegraben werden. Auch weitere Probebohrungen an anderer Stelle sind wahrscheinlich.

Teerkork sorgt für Eskalation

Eskaliert ist die Sache, als auch gefährlicher Abfall – wie teerkorkhaltiges Dämmmaterial in Riesensäcken – gefunden wurde. Damit hatte niemand gerechnet: Einige „Big Bags“ wurden beschädigt, die Stoffe verstreut und der sonstige ausgebaute Abfall kontaminiert. Nun wartet er darauf, den strengen Auflagen gemäß entsorgt zu werden. Für das Wiederauffüllen der Haidmühle müssen dann sogenannte Deponiebauersatzstoffe verwendet werden. Zu seiner Verantwortung, die vermutlich vom früheren Betriebsleiter eingebauten illegalen Abfälle auszubauen und zu entsorgen, hatte Gerst stets gestanden. Was Geschäftsführer Gerst aber stets zurückwies, war Verantwortung für die gefährlichen Abfälle. Dafür sieht er vorneweg Lidl und dessen Entsorgungsfirma in der Pflicht – auch wenn das Material nur über das Abfallwirtschaftszentrum auf die Haidmühle gekommen sein kann. Dass unter anderem der Teerkork unsachgemäß ausgebaut wurde, sei die Schuld des ESN, meint Gerst.

Räumungsklage eine Folge

Nach dem Fund des gefährlichen Abfalls hatte die Stadt auf Stadtratsbeschluss den Pachtvertrag gekündigt, weil das Vertrauensverhältnis zu Gerst massiv gestört sei. Zudem wurde eine Räumungsklage beim Landgericht Frankenthal eingereicht. Wann über diese verhandelt wird, ist laut Gerichtssprecher offen. Weil sich Gerst zwischenzeitlich gegen zig Vorwürfe wehrt, hat Firmenanwalt Samuel Schwake viele Widerklagen folgen lassen – über die laut Schwake entschieden werden muss, bevor über die Räumungsklage entschieden werden kann. Das werde sich über Jahre ziehen, so seine Prognose. Aus Sicht von Gerst hätten hohe Anwaltsberatungs- und Gerichtskosten also vermieden werden können. Zumal das Unternehmen auch dann nur einen Bruchteil davon erstatten müsste, sollte die Stadt gewinnen. Aus Sicht von Gerst werden mögliche Kosten aber auch anderweitig in die Höhe getrieben.

Streit um Entsorgungskonzept

Als Beispiel dafür nennt Gerst die Entsorgung des mit gefährlichem Abfall durchsetzten ausgebauten Materials. Dafür hatte die Firma im Mai einen kostengünstigen Arbeits- und Sicherheitsplan vorgelegt, der unter anderem vorsieht, am Ort per Hand zu sortieren – laut Andreas Gerst um die Lage zu befrieden und ohne damit eine Rechtspflicht oder Schuld anzuerkennen. Das lehnte die Stadt ab und wurde darin im August von der SGD bestätigt, die die Stadt gleichzeitig anwies, selbst tätig zu werden. Für den von der Stadt erstellten Plan läuft nun die Ausschreibung, gerechnet wird mit Kosten von bis zu 500.000 Euro. Davon habe er erst Ende Oktober und nur nach Androhung rechtlicher Schritte gegen die Stadt erfahren, sagt Geschäftsführer Andreas Gerst. Was ihn zudem ärgert: In ihrer Antwort habe die SGD den Gerstschen Plan nicht inhaltlich, sondern aus formalen Gründen abgewiesen: Nicht Gerst, sondern nur die Stadt als Betreiber sei berechtigt, einen Plan vorzulegen. Indes lehnt die SGD den Arbeits- und Sicherheitsplan von Gerst auch inhaltlich ab, weil er den Anforderungen nicht entspricht, wie sie auf RHEINPFALZ-Nachfrage erklärte.

Zusätzlich befeuert

Der Streit um die Haidmühle hat folglich den Streit um die Räumung des AWZ befeuert. Dass Gerst gehen muss, ist auch dem Unternehmen klar. Doch herrschen unterschiedliche Meinungen über das Wann und Wie. Laut Andreas Gerst wäre ein geordnetes Verfahren bis Ende 2021 das Beste. Dafür seien rund fünf Millionen Euro notwendig. 1,5 Millionen Euro davon wären eine Art Ablöse, die die Stadt für feste Bauten zahlen müsste. Die anderen 3,5 Millionen könnte die Recycling GmbH erwirtschaften, wenn der Betrieb wieder aufgenommen werden dürfte. Bis 2021 wäre dann auch klar, ob das AWZ-Gelände in eine mögliche Landesgartenschau integriert oder von einer anderen Firma übernommen würde. Ob die Stadt noch Chancen für einen guten Abschluss für Gerst sieht? „Wir hatten selbst großes Interesse an einer Einigung“, so Kämmerer Stefan Ulrich auf Nachfrage. Deshalb seien immer wieder Vermittlungsgespräche geführt worden, auch bei der SGD. Das Schlüsselthema sei das Entsorgen der kontaminierten Halden gewesen. Letztlich sei man auf einer Stufe angekommen, „auf der man nicht mehr verhandeln kann“.

Auch SGD im Boot

Doch selbst wenn, verzeichnet der AWZ-Plan von Gerst ein Manko: Im Abfallwirtschaftszentrum stehen alle Anlagen – darunter der Brecher – seit Monaten still. Neues Material darf nicht mehr angenommen werden. Dafür sorgten Anordnungen der Stadt und der SGD, die jeweils mit Sofortvollzug versehen waren. Das bedeutet, dass auch dann Stillstand herrschen muss, wenn Gerst dagegen klagt und letztlich die Gerichte entscheiden müssen. Das kann allerdings geraume Zeit dauern. Deswegen hat Gerst vorläufigen Rechtsschutz beantragt, in der Hoffnung, zumindest bis 2021 weitermachen zu können. Im Fall der städtischen Anordnung erhielt er aus formalen Gründen in erster Instanz Recht, nicht aber im Fall der SGD. Die Beschwerde dagegen liegt nun beim Oberverwaltungsgericht.

Staatsanwaltschaft sieht Ende

Und die strafrechtlichen Ermittlungen wegen der illegalen Abfallablagerung? Diese stehen vor dem Ende, wie Frankenthals Leitender Oberstaatsanwalt Hubert Ströber auf Anfrage mitteilt. Offen sei nur, ob noch in diesem Jahr oder Anfang 2020.

Kommentar: Situation verfahren

Wer die Firma Gerst bluten sehen will, darf eines nicht vergessen: Sie ist fast schicksalhaft mit der Stadt verbunden. Der Müllskandal und seine Folgen – das alles ist ein Riesenkomplex, bei dem sich Dinge täglich verändern können und den ein Laie kaum mehr durchblickt. Das gilt auch für viele Stadtratsmitglieder. An den Stadtrat hat sich die Firma Gerst jetzt gewandt, um detailliert ihre Sicht der Dinge darzulegen. Ein schwieriges Unterfangen. Die Stimmung im Stadtrat ist mehrheitlich gegen Gerst. Und auch bei vielen Bürgern hat es sich das Unternehmen verscherzt, auch wegen der Linden am Jahnplatz. Ob zu Recht oder zu Unrecht, spielt dabei schon lange keine Rolle mehr. Die Situation ist verfahren, und es gibt kaum mehr Hoffnung auf eine gütliche Einigung zum Wohl beider Seiten. Obwohl das sinnvoll wäre, denn die finanziellen Risiken sind hoch. Wichtig wäre aber auch, dass es auf der Haidmühle endlich vorangeht, damit die Deponie wieder geschlossen werden kann. Noch hat sich der Müllskandal nicht aufs Grundwasser ausgewirkt. Aber zumindest dabei muss man es nicht zum Äußersten kommen lassen.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x