Neustadt Neustadt: Bewegende Gedenkfeier für "Arisierungs"-Opfer

Die Schüler zündeten zum Gedenken an die Opfer der NS-Zeit Kerzen an.
Die Schüler zündeten zum Gedenken an die Opfer der NS-Zeit Kerzen an.

Neustadter Familien, die bei der „Arisierung“ enteignet wurden, standen im Mittelpunkt der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus.

Aya Cohrssen, Jahrgang 1954, ist sich sicher: Ihr Vater hätte sich gefreut, hätte er gewusst, dass das Schicksal seiner Familie so viele Jahre später noch einmal erzählt werden würde. „Er kam oft noch auf Besuch nach Neustadt, kaufte Wein und ging wandern“, erzählt sie. Wie jüdische Familien wie die Cohrssens in den 30er Jahren aus ihren Häusern und Betrieben verdrängt wurden, bevor sie vertrieben, verfolgt oder ermordet wurden, das stellten bei der Gedenkfeier in der Stiftskirche Schüler des Kurfürst-Ruprecht- und des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums dar. Dabei stützten sie sich nicht nur auf das, was zu dem Thema an publizierter Literatur vorhanden ist, sondern sie hatten zuvor selbst im Archiv recherchiert. Dort fanden sie beispielsweise die Spuren des Ehepaars Helene und Siegfried Cohrssen, der Großeltern Aya Cohrssens, die einst eines der größten Warenhäuser in Neustadt besessen hatten. Dort, wo heute der Drogeriemarkt Müller seinen Sitz hat. In der gut gefüllten Kirche erzählen die Schüler, wie die Cohrssens 1935 unter dem wachsenden Druck das Geschäft verkauften, wie sogar der Käufer Probleme bekam, weil ihm unterstellt wurde, mit den jüdischen Vorbesitzern „gemeinsame Sache“ zu machen. Wie die Cohrssens Neustadt verließen und dann im letzten Moment in die USA flohen. Dass es in Neustadt eine große Anzahl von Häusern und Betrieben in jüdischem Besitz gab, zeigt eine Stadtkarte mit zahlreichen roten Punkten, die in der Stiftskirche an der Seitenwand aufgehängt ist und ebenfalls von Schülern erstellt wurde. Näher ein gehen die Schüler neben der Familie Cohrssen auf Maximilian und Berta Wolff, denen unter anderem das Fachwerkhaus in der Hauptstraße 91 gehörte, auf das Bäcker-Ehepaar Mayer und die Witwe des Weinhändlers Rudolf Bach. An dem Beispiel zeigen sie, wie die Nationalsozialisten die Juden um den meist ohnehin viel zu niedrigen Betrag für ihre Grundstücke betrogen: „Zunächst wurden 25 Prozent ,Reichsfluchtsteuer’ abgezogen, der Rest wurde auf ein ,Auswandererkonto’ überwiesen“, erklären die Schüler. „Da kam man sehr schwer dran.“ Schließlich werden Kerzenlichter aufgestellt und die Schüler verlesen Namen weiterer Opfer. Oberbürgermeister Marc Weigel beginnt seine Ansprache mit Artikel eins des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und er macht deutlich, dass rassistische Gewalt auch heute noch, 80 Jahre nach der Reichspogromnacht, immer wieder ein Thema in der Gesellschaft ist. Allerdings: „Es gibt auch viele Zeichen, die Hoffnung machen.“ Schüler der Berufsbildenden Schule, darunter auch Geflüchtete, nennen für beides aktuelle Beispiele. Der Nationalsozialismus, so Weigel schließlich, sei auch deshalb möglich gewesen, weil viele wegschauten. Daher sein Appell, das Grundgesetz zu respektieren und den Mut zu haben, es stets zu verteidigen. „Eltern und Großeltern mit einem solchen Schicksal zu haben, prägt einen sehr stark“, sagt Aya Cohrssen im Anschluss an die Gedenkveranstaltung. Die Psychologin ist in Frankfurt geboren, lebt heute in der Nordpfalz und hat die Heimat ihrer Vorfahren als Kind kennen gelernt, wenn ihr Vater sie mitnahm bei seinen Besuchen in Neustadt. „Er war Jahrgang 1905 und ist schon 1926 in die Vereinigten Staaten ausgewandert“, erzählt sie. Ein Glück für die Familie. Hans Cohrssen holte seine Eltern 1939 zu sich nach New York. Später kehrte er als Soldat in der amerikanischen Armee zurück nach Europa, kämpfte unter anderem in Italien und Österreich gegen Nazi-Deutschland. Und blieb schließlich in Frankfurt, wo er heiratete und wo Aya Cohrssen geboren wurde. Dass sie über Schüler, die den jüdischen Friedhof in Neustadt pflegen, jetzt wieder Kontakt zur Heimat ihres Vaters und ihrer Großeltern bekommen hat, freut sie sehr. „Es ist schön, dass ich hier dabei sein konnte.“ Und wenn sie schon einmal hier ist, wird sie auch in die Mozartstraße gehen. Denn da wohnten ihre Großeltern. Info Hans Cohrssen hat über seine Erinnerungen ein Buch veröffentlicht, das 1996 erschienen ist: „Einer, der auszog, die Welt zu verändern.“; ISBN: 3782007441.

Aya Cohrssen.
Aya Cohrssen.
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