Neustadt Leggings sind auch keine Lösung

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«NEUSTADT». In Zeiten von Social Media hat Knigge eine völlig andere Dimension bekommen. Was gehört in den Kleiderschrank? Wo muss der Hosenanzug hin, und wo kommt er her? „Shopping Queen“-Modepapst Guido Maria Kretschmer schreibt in „Eine Bluse macht noch keinen Sommer – Geschichten aus dem Kleiderschrank“ die Episoden seines bisherigen Designerlebens auf. Das modisch korrekte Zeitalter einiger polarisierender Kleidungsstücke lässt sich dabei noch nicht einmal von ihm festmachen.

Wer sagt, dass Dirndls, Leggings und Camouflage-Parkas es nicht auf die Bestsellerliste schaffen können? Gut, um das schier Unmögliche zu erreichen, hat sich selbst Modeschöpfer Guido Maria Kretschmer eines kleinen Tricks bedienen müssen: Statt in den Kleiderschrank oder Urlaubskoffer hat er kratzendes und fließendes, anschmiegsames und unbeugsames Material einfach in ein sehr unterhaltsames Buch gepackt. Das passt wenigstens immer und überall, könnte man meinen. Fast wie eine Dokumentation kommt deswegen auch die ehrliche Abrechnung des großen Mode-Meisters mit dem beigefarbenen Mantel daher. Schließlich hat der 53-Jährige von den Anfängen einer ersten „Kollektion“ auf Ibiza bis zu sechs Jahren voller Modesünden in seiner Sendung „Shopping Queen“ schon so ziemlich alles gesehen, was aus Webgarn entstehen kann. Als „Popelinepakt und seine Folgen“ beschreibt „GMK“ dieses Modemanöver daher so: „Selbst die Queen trägt es, und Burberry macht sogar noch ein kariertes Futter rein.“ Trotzdem wird für den Stilprofi aus einer Kaffeefahrt keine Modereise, nur weil 85 Prozent der Mitfahrer in den Klassiker der unaufgeregten beigen Übergangsjackenkunst gehüllt sind. Als Gegenpol gibt es den weißen Mantel, den Kretschmer nahezu philosophisch mit der Sehnsucht nach einem Neubeginn verbindet. Und wie ein Skifahrer im Slalom schwenkt er dabei mit seinen Geschichten hin und her: Dem nach modischem Input dürstenden Leser wird so fast bildlich vor Augen geführt, dass „kein Konto in diesem Land ohne einen Hosenanzug eröffnet“ wird. Das schafft Vertrauen. Nur warum eigentlich? Machen Knöpfe etwa seriös? Platz für sich ungewollt abzeichnende Details bietet laut dem „Shopping Queen“-Connaisseur jedenfalls eine modische Erscheinung ganz besonders: die Leggings. Die kann „eigentlich fast jeder tragen“, außer eben „mit extrem dicken Beinen“. Dass sie Männern besonders in der Kombi mit dicken Fellstiefeln und XXL-Pullovern mitnichten Schauer der Freude über den Rücken jagen, verschweigt Kretschmer dabei nicht. Statt dessen gibt es zu fast jedem Kleidungsstück, quasi wie ein Wäscheschildchen bei der Stangenware, noch ein Bonmot seines Vaters dazu. Und bei viel zu viel Spandex und Nylon sagt der eben sehr weise: „Leggings sind manchmal auch keine Lösung.“ Apropos Dinge passend machen, die von Natur aus nicht passen: Die Wahl des besten Brautkleids provoziert den Designer ebenfalls zu Anekdoten aus dem Atelier, die normalerweise strikt unter das Betriebsgeheimnis fallen. Etwa so: „Vermutlich wäre etwas Geschnürtes zu sexy, ist doch eine Hochzeit, aber sexy bin ich schon irgendwie, oder was denken Sie, lieber Guido?“ Der hat trotz eines gewissen Abstands zu diesem Thema schon früh erkannt, dass ein Ehemann vor dem Altar meist nur „das Accessoire“ ist, das für viele zum frühzeitig geplanten Prinzessinnenkleid passen soll. Auch zu Röcken hat „der liebe Guido“ so seine Geschichten samt flotten Zeichnungen vom kretschmerschen Skizzentisch parat. Wer eine Schwäche für Ballonröcke hegt, sollte frisch genähte Designerware zum Beispiel nicht vorschnell aus der Tüte kramen. Sonst ist sie schneller vom Winde verweht, als man „Haute Couture“ rufen kann. Aber vielleicht ist so ein Ende mit Schrecken oft besser, wie selbst der Kenner zugeben muss. Denn sogar ohne Leggings gilt: „Schöne Röcke sind nicht immer kurz, kurze Röcke nicht immer schön.“ LESEZEICHEN Guido Maria Kretschmer: „Eine Bluse macht noch keinen Sommer – Geschichten aus dem Kleiderschrank“, Edel-Books, Taschenbuch, 289 Seiten, 9,95 Euro.

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