Neustadt Hinter den Kulissen des Systems

«Neustadt». Nordkorea ein Reiseziel?! Bis zum historischen Händedruck des amerikanischen Präsidenten Donald Trump mit Machthaber Kim Jong-un im Juni war das Land von der nichtkommunistischen Welt total abgeschottet und für westliche Touristen nachgerade tabu. Nicht so für den TV-Autor und Comedy Coach Christian Eisert, dessen Traumziel seit seiner Kindheit Korea war.

In seinem informativen, humorig geschriebenen Reisebericht „Kim & Struppi – Ferien in Nordkorea“ verrät er den Grund für diesen Trip und bietet zugleich zum Teil bizarre Einblicke in dieses Land. Ein schräger Titel, der dem Leser zunächst Rätsel aufgibt. Bei Eisert ist Struppi eine Chiffre für die omnipräsenten Überwacher in Kims Reich. Als Kind hatte er in Ost-Berlin seine Mutter nach den „erdfarbenen Herren“ am Brandenburger Tor gefragt und die Antwort erhalten: „Die passen auf … dass uns nichts passiert“. Seine Schlussfolgerung: wie Struppi, der Hund im Garten seiner Großeltern … Doch was reizt einen Westler zu einem Urlaub in einem Land, in dem Andersdenkende gefoltert und hingerichtet werden? Als der 1976 in Ost-Berlin geborene Christian Eisert mit zwölf Jahren in einem Ostberliner Kino einen Film über Nordkorea sieht, in dem in einem Park lachende Kinder auf einer Regenbogenrutsche ins Wasser sausen, setzt er sich in den Kopf, dieses Wunderwerk einmal für sich zu entdecken. 25 Jahre später verwirklicht er seinen Kindheitstraum und reist 2013 mit einer Kollegin, der Fotojournalistin Thanh Thi Hoang in dieses Land, in dem zwei Wochen zuvor ein Atombombentest stattfand. Da westliche Journalisten prinzipiell unter Spionageverdacht stehen, gibt Eisert sich als Lehrer für dramatisches Spiel aus, und Thanh, die als Kind während des Vietnam-Krieges nach Deutschland floh und von deutschen Eltern aufgenommen wurde, reist unter ihrem zweiten Namen Sandra Schäfer als Dolmetscherin für Vietnamesisch und Deutsch. Weil Handys verboten sind, hat er seines zu Hause gelassen und nur seinen Kleincomputer dabei. Wie nicht anders zu erwarten, muss Thanh ihr iPhone abgeben… Kontrolleure mit „Eisaugen“, Wanzen im Hotel in Pjöngjang – überwacht wird hier offensichtlich alles. Mit zwei indoktrinierten „Reisebegleitern“ starten beide in einem Kleinbus ihre kontrollierte Reise auf leeren Autobahnen. Touristische Ziele sind vor allem monumentale Denkmäler der drei Dynasten Kim Il-sung, Kim Jong-il und dessen Sohn Kim Jong-un, der seit 2011 an der Macht ist. In seinen Reisebericht blendet Eisert neben persönlichen Erfahrungen höchst Wissenswertes über Politik, Geschichte und Kultur sowie eindrückliche Landschaftsbeschreibungen ein. Der Leser erfährt viel Unbekanntes: Wer wusste schon, dass der Buchdruck in Korea schon lange vor Gutenberg erfunden wurde, nämlich im Jahr 1132? Oder dass die Hauptstadt Pjöngjang am Ufer des Flusses Taedong nach der Zerstörung durch US-Bomber großzügig und modern in den 1950er-Jahren wieder aufgebaut wurde? An der Flussmündung beeindruckt Eisert eine Wand mit Mosaiken, welche die wechselnden Grenzen der koreanischen Königreiche im Verlauf von 3000 Jahren zeigt. Als bedrückend erlebt der Autor den Besuch der DMZ, der demilitarisierten Zone, den Grenzstreifen zwischen Nord- und Südkorea bei Panmunjom, der das Land seit 1953 teilt. Unübersehbar sind für die Besucher die Kontraste zwischen dem von den Reisebegleitern suggerierten Bild vom glücklichen Leben der Nordkoreaner und der Realität ihres entbehrungsreichen Alltags. Bewusst unterdrückt Eisert auf dieser Reise seine Gefühle. Hilfreich sei ihm als Satiriker sein Motto „Humor bedeutet Distanz zu den Dingen“. Thanh dagegen kommentiert das Erlebte kritisch, so dass es zu Auseinandersetzungen zwischen beiden kommt, besonders wenn sie den Begleitern provozierende Fragen stellt und er einen Eklat befürchtet. Wird Eisert sein Traumziel erreichen? Zwar reisen sie tatsächlich nach Mangyondae, doch der Vergnügungspark ist geschlossen, die Wasserrutsche wird angeblich renoviert. Eiserts Enttäuschung ist groß, doch hat er zuvor in Panmunjom eine Abbildung dieser Rutsche entdeckt und mit Genehmigung seiner Begleiter fotografiert. In seinem Buch ist dieses Foto mit fast 30 Farbaufnahmen veröffentlicht, die unterschiedlichste Eindrücke von Korea vermitteln. Die Erleichterung ist groß, als beide nach einer atemberaubenden Woche, in der sie 1500 Kilometer zurücklegt haben, ungehindert die Grenze nach China passieren können. Angesichts der aktuellen Annäherungen zwischen Nord- und Südkorea sind Eiserts Einschätzungen zu einer möglichen Wiedervereinigung beachtenswert. Diese könne sich Südkorea weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich leisten. Im Vergleich mit der deutschen Wiedervereinigung, die oft als Vorbild angeführt werde, seien die Menschen diesseits und jenseits der Mauer damals durch Fernsehen und Austausch von Verwandten viel besser vorbereitet gewesen. Außerdem hätten beide Staaten keinen Krieg gegeneinander geführt. Seine Prognose: Der Prozess der Annäherung wird kompliziert und langwierig sein. Lesezeichen Christian Eisert: „Kim & Struppi – Ferien in Nordkorea“. Taschenbuch, 319 Seiten, 11 Euro, Ullstein Verlag

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