Neustadt Ein Szenario wie im Krieg

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„Meine Mutter hat mich schnell in den Wandschrank gesetzt, und dort musste ich ewig lang bleiben, bis sie ganz sicher war, dass es vorbei ist.“ So erinnert sich eine heute 60-jährige Haßlocherin an den 27. April 1965: Ein kleines Mädchen ist sie damals, und der unüberhörbare Knall, der Haßloch am frühen Abend vom Bahnhof aus massiv erschüttert und durch Mark und Bein geht, ist ihr bis heute im Ohr geblieben. Was die Kinder damals massiv erschrecken lässt, weil sie ein solches Geräusch bis jetzt nie gehört hatten, löst bei ihren Eltern schier panikartige Angst aus, weil die es wiederum nur zu gut kennen: Mit der lautstarken Explosion gegen 17.30 Uhr wird bei den erwachsenen Haßlochern an diesem Dienstag im Frühjahr 1965 sozusagen schlagartig die Erinnerung an Bomben im Zweiten Weltkrieg wieder lebendig. Was beim ersten Schreck aber bis auf die Augenzeugen direkt vor Ort noch keiner wissen kann: Tatsächlich hat der ohrenbetäubende Donnerschlag seine Ursache in scharfer Panzermunition. An jenem 27. April läuft ein Manöver der US-Streitkräfte in der Vorderpfalz, Name: „Weinbrand“. Eine Panzerkolonne durchquert Haßloch in Richtung Norden durch die Bahnhofstraße. Am damals noch schienengleichen Bahnübergang geschieht das Fatale: Die Besatzung des Panzers hat – entweder aus Unkenntnis oder Unachtsamkeit – die Funkantenne nicht eingezogen, als das schwere Kettenfahrzeug ratternd den Übergang passiert. Allerdings berührt die Antenne den Fahrdraht und somit die Oberleitung der elektrifizierten Bundesbahnstrecke. Ein Kurzschluss im Panzer ist die Folge. Der Treibstoff entzündet sich, und der Panzer mit ihm. Der Besatzung gelingt es noch, rasch aus dem brennenden Fahrzeug springen, und die Kolonne versucht, den Brand mit Schaumlöschgeräten aufzuhalten. Ernstfall auch für die Haßlocher Feuerwehr: Sie wird hinzugerufen und trifft innerhalb kürzester Zeit vor Ort ein. Norbert Schnurr, späterer Wehrleiter, erreicht den Bahnübergang mit dem zuerst ausgerückten Tanklöschfahrzeug zuerst. „Brand beim Bahnhof“ habe damals die lapidar klingende Meldung nur gelautet, erinnert er sich im Jahr 2005 in einem RHEINPFALZ-Gespräch an diesen Einsatz, der sein spektakulärster werden sollte. „Als wir ankamen, stand mitten auf den Gleisen ein qualmender Panzer“, erzählt Schnurr, der mittlerweile verstorben ist, über den Moment, in dem allen Beteiligten klar wurde: Unter Kontrolle ist hier gerade nichts mehr. Von der US-Besatzung sei nur noch ein einziger, wild gestikulierender Soldat zu sehen gewesen , so die bildliche Erinnerung des Feuerwehrmanns. Dessen Kameraden haben da schon längst das Szenario verlassen und sich in sichere Entfernung abgesetzt. Eine riesige Herausforderung für die Feuerwehr: Die geschockten Wehrleute gehen zu diesem Zeitpunkt noch von der irrigen Annahme aus, dass ein Panzer auf Übungsfahrt wohl keine scharfe Munition an Bord hat. Deshalb befiehlt der damalige Wehrleiter Horst Kastenholz kurzerhand einen „Schaumangriff“: Der Panzer soll ganz schnell mit Löschschaum angefüllt werden, um das Feuer im Innern zu ersticken. Gegen 17.30 Uhr bringt eine gewaltige Explosion den Bereich am Bahnübergang zum Beben. Kurz darauf gibt es eine zweite, noch stärkere Detonation. 70 Granaten und jede Menge Munition gehen hoch. Der Explosionsdruck reißt dabei den Panzerturm samt Geschütz herunter. Norbert Schnurr und Feuerwehrkollege Dieter Stahler stehen in diesem Moment mit einem Schaumrohr etwa sechs Meter hinter dem Panzer, als Turm und Geschütz unmittelbar daneben zu Boden krachen. Die Druckwelle zieht zwar über die beiden Wehrmänner hinweg, aber ihnen platzen dabei die Trommelfelle in den Ohren. Der Druck der Detonation lässt auch zahlreiche Fensterscheiben der umliegenden Häuser zerbrechen, und die Panzertrümmer sowie die Munitionssplitter schlagen in den umliegenden Gebäuden ein. Besonders die später abgerissene Gastwirtschaft „Zum Bahnhof“ wird durch das Inferno schwer beschädigt, das Dach teilweise abgedeckt. Fensterscheiben und Möbel sind zerstört. Die Wehrleute dürfen sich dem brennenden Panzer jetzt nicht mehr in einem neuen Anlauf nähern, weil die US-Soldaten den Bereich hermetisch abriegeln, und löschen stattdessen das brennende Stellwerk. Durch die immense Hitze bei dem Großbrand schmelzen die Kabel, die vom Stellwerk aus zu den in Richtung Ludwigshafen liegenden Weichen und Signalen führen. Die Oberleitung ist durch die Explosion zerstört, die Gleise sind stark beschädigt. An Ankunft und Abfahrt ist gerade nicht mehr zu denken. Mit Bussen werden im Feierabendverkehr alle Fahrgäste auf der Strecke, vor allem die „Aniliner“ auf dem Rückweg von der BASF in Ludwigshafen, nach Hause gebracht, bis die gröbsten Schäden an den Bahnanlagen gegen Mitternacht beseitigt sind. Mit fünf Leichtverletzten, darunter zwei US-Soldaten der Panzerbesatzung, und einem Sachschaden weit über 300.000 Mark geht das Unglück als einer der größten Löscheinsätze in die inzwischen über 165-jährige Geschichte der Feuerwehr Haßloch und in die Archive der RHEINPFALZ ein – fordert aber zumindest kein einziges Todesopfer.

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