Neustadt Ein gigantisches Ereignis

Arvo Pärt ist ein anspruchsvoller Komponist: Die 20 Sängerinnen und Sänger des „Neustadter Vokalensembles“ interpretierten seine
Arvo Pärt ist ein anspruchsvoller Komponist: Die 20 Sängerinnen und Sänger des »Neustadter Vokalensembles« interpretierten seine Werke unter Leitung von Simon Reichert aber mit selbstverständlich anmutender Leichtigkeit, beachtlicher Intonationssicherheit und großem Ausdruck.

«Neustadt». Eine atemberaubende Hommage an das Chor- und Orgelwerk des estnischen Ausnahmekomponisten Arvo Pärt bot am Sonntag das jüngste Sonderkonzert des Neustadter Orgelsommers in der Stiftskirche. Besonders faszinierte die Leistung des „Neustadter Vokalensembles“ unter Leitung von Simon Reichert. Die 20 Sängerinnen und Sänger interpretierten die anspruchsvollen Werke mit selbstverständlich anmutender Leichtigkeit, beachtlicher Intonationssicherheit und großem Ausdruck.

Witzig akzentuiert singt das Vokalensemble zum Auftakt die einleitenden Worte der kleinen Kantate „Dopo la Vittoria“, die Pärt 1997 zum 1600. Todestag des Mailänder Stadtheiligen Ambrosius komponierte. Manche Textteile heben Sopran- und Altstimmen hervor, bei anderen wie dem Lobpreis des Schöpfers treten die Männer in den Vordergrund. Alles mündet in ein mehrstimmig bewegtes Finale. Überwältigend ist schon hier aber vor allem der Klangeindruck, der durch Pärts „Tintinnabulli“-Stil entsteht. Eigentlich klingt es ganz einfach: Es gibt eine diatonische Melodiestimme, darunter die Begleitstimme(n) in Arpeggien. Der Komponist exerziert dieses von ihm selbst erfundene, minimalistische Prinzip meisterlich durch. Inhaltliche Aussage, Sprachrhythmus, Tempi und Dynamik bestimmen die Wirkung ebenso wie die komplexe Harmoniegestaltung, die sich wechselnd auf Stimmgruppen und Einzelstimmen verteilt. Das zeigt sich auch beim nächsten Titel „I am the true vine“, von Pärt für die 900-Jahr-Feier der Kathedrale von Norwich komponiert. Die Verse nach dem Johannes-Evangelium (15, 1-14) erhalten durch den Wechsel der Hauptstimmen enormen Ausdruck. Beeindruckend ist das Wandern der Tonhöhen, wobei der Bass mit Tönen in tiefster Lage Akzente setzt. Intensiviert wird die Wirkung durch lange Haltetöne insbesondere im Sopran. Ein besonders interessantes Werk ist „Which was the son of“, für die europäische Kulturhauptstadt Reykjavik 2000 geschrieben. Wer kommt schon auf die Idee, den Stammbaum Jesu bis zurück zu Adam als vertonte Chronologie zu bringen? Für die Isländer mit ihrer Namenstradition mit -dottir und -son ist das aber recht naheliegend. Eingangs startet der Bass mit der Namensbiographie, benennt Jesus als Sohn von Josef, im Mittelteil übernehmen die Frauenstimmen, wobei das „wich was the son of“ stets als Ostinato rhythmisch unterlegt ist. Man endet bei Adam, und „der war ein Sohn Gottes“, ehe die Genealogie im Amen pianissimo ausklingt. Mit „Nunc dimmitis“, entstanden für die St. Mary`s Episcopal Cathedral in Edinburgh, geht es in die Pause. Der zweite Teil des Programms ist Pärt-Kompositionen aus jüngerer Zeit gewidmet, beginnend mit „The Morning Star“ mit leicht schwebendem Flair, abwechselnd von strahlendem Sopran und Tenor sowie wunderschön warmen Altstimmen mit sonorem Bassfundament ausgeführt. Bei „Virgencita“, einer 2012 entstandenen Auftragsarbeit für die Kathedrale von Mexiko, fällt auf, dass die Landessprache den Charakter des Werkes entscheidend bestimmt – typisch für viele Pärt-Kompositionen. Den Abschluss bildet das „Magnificat“, komponiert 1989 für den Staats- und Domchor Berlin. Das aus einem Ton und dem Pianissimo heraus entwickelte Intro wird durch Mehrstimmigkeit ergänzt, die sich disharmonisch aneinander reibt, um nach spannungsreicher Ausführung einen friedlichen Einklang zu finden. Auch hier gefällt die Gestaltung durch Teilgruppen des Chors, wenn beispielsweise beim „qui potens es“ (der mächtig ist) der Tenor die souveräne Führung übernimmt, begleitend von den schwebenden Oberstimmen der Frauen. Nach dem zarten Ausklang des letzten Abraham-Verses herrscht zunächst atemlose Stille. Dann aber bricht sich die Begeisterung der rund 250 Besucher Bahn, noch während die letzten Klangwellen im Kirchenschiff verhallen. Gut gewählt ist die Zugabe „The fruit of Silence“ nach einem Text von Mutter Theresa, komponiert von Pärts lettischem Kollegen Peteris Vasks. Zweimal kam zuvor auch noch die Orgel zur Geltung. Georg Theiss, ehemaliger Schüler Reicherts im Kirchenmusikalischen Seminar Neustadt, spielte Pärts siebenminütiges „Mein Weg hat Gipfel und Wellentäler“ in konstantem Tempo ohne geringste Unsicherheit. Im ersten Teil des Abends gestaltete Jonas Littek, ebenfalls ehemaliger Reichert-Schüler, sehr akzentuiert das Stück „Trivium“, von Pärt 1976 im reinsten Tintinnabuli-Stil geschrieben.

x