Neustadt Ein ganzes Bündel spritziger Choreographien

Klassisches Tanztheater ganz vital: Nami Ito und Jacob Noble in der Kurzchoreographie „Salamander“ von Kaito Takahashi.
Klassisches Tanztheater ganz vital: Nami Ito und Jacob Noble in der Kurzchoreographie »Salamander« von Kaito Takahashi.

«Neustadt». Der Beifall wollte am Mittwoch gar nicht enden – die Tanz-Akademie Mannheim hatte wieder einmal ihre prachtvoll präparierten Eleven in der Reihe der „Kurpfalzkonzerte“ auf die Bühne des voll besetzten Saalbaus entsandt. Und die bescherten in 90 kurzweiligen Minuten einen rundum eindrucksvollen Querschnitt ihrer vielgestaltigen und hochbühnentauglichen Kunst. Das gleiche Programm gab’s dann noch einmal gestern Abend – ebenfalls ausverkauft, wie zu hören war.

Die „Akademie des Tanzes“ an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim verortet sich nachdrücklich und zu Recht in einer langen künstlerischen Tradition, die sich bis zum kunstsinnigen Kurfürsten Karl-Theodor zurückverfolgen lässt. Und gleichwohl auch in neuerer Zeit nicht mit Persönlichkeiten geizt. Mit Birgit Keil, neben Marcia Haydée die berühmteste Primaballerina der legendären Kompanie in der 1960er und 70er-Ära John Crankos am Stuttgarter Staatstheater, betreut eine echte Ikone des internationalen Bühnentanzes den Ballett-Nachwuchs in Mannheim. Und sie leistet pädagogisch offensichtlich Großartiges. Nach dem titelgebenden Eingangsstück „Don Quijotes Traum“ aus dem 2. Akt des Don-Quijote-Balletts mit der Musik von Alois Ludwig Minkus, uraufgeführt 1869 im Moskauer Bolschoi-Theater, präsentierte sie eine spritzige Abfolge von Choreographien, teils von Examenskandidaten, teils von längst flügge gewordenen ehemaligen Studenten – in Szene gesetzt mit einer fabelhaft motivierten und perfekt agierenden blutjungen Kompanie. Das hatte Charme und Frische und war im Übrigen so makellos in der tänzerischen Umsetzung, musikalischen Korrespondenz und Ausdrucksintensität, dass sich kaum abwägen lässt, was mehr fesselte: der ästhetische Reiz der vollendet anmutigen Körper oder die suggestive Kraft ihrer Bewegung, bedeutungsschwanger und reich an Metaphern. Die Formate waren unterschiedlich, plünderten ebenso umfassend den klassischen Figuren-Katalog wie sie sich moderner, extrovertierter Ausdrucksformen bedienten. Teils waren es kürzere Kreationen, im Hinblick auf Bachelor-Prüfungen gestaltet. So etwa „Elle“, choreographiert und getanzt von Muriel Berjemo auf ein Chanson von Edith Piaf, angereichert mit schelmischem Witz bis hin zum Slapstick. Und als Pendant dazu lieferte Lee Zammit eine umwerfende, charmant-humorige Performance zu Jacques Brels berühmtem Chanson „Les Bourgeois“ (Choreographie: Ben van Cauwenbergh). Sicher eines der Highlights des an Höhepunkten reichen Abends war „Voices of Silence“. Es handelte sich um eine Arbeit des Choreographen und Keil-Schülers Thiago Bordin, 2005 fürs Staatstheater Karlsruhe kreiert. Zehn Stücke aus Robert Schumanns Liederzyklus „Dichterliebe“ weisen musikalisch den Weg; der wunderbaren Stimme von Fritz Wunderlich lauschen zu dürfen, war – ganz am Rande bemerkt – ein zusätzliches Faszinosum. Vier Paare tanzen auf leerer Bühne. Mit dem Flügel, im hinteren Bereich deponiert und stumm, schien Schumann seltsam präsent. Die Choreographie, in der sich die vier schwarz gewandeten Paare simultan oder solistisch bewegen, dringt tief in die Textschichten, illustriert nicht, sondern kommentiert auf sehr nachdrückliche Weise. Ein tieftrauriges Stück in geradezu existentieller Verausgabung. Auch der Formationstanz feierte faszinierende Feste: Hatte „Don Quijotes Traum“ gleich zu Beginn die Erwartungshaltung hinsichtlich Grazie, klassischer Figurenfolge und tutu- umflorter Anmut prächtig bedient, so brachten der fantasievolle Raupen-Tanz (Choreographie: Alexander Kalibabchuk) zu traditioneller Don-Kosaken-Musik und das sich per Tüllröckchen selbst ironisierende Männerballett „Pathétique“ nach Tschaikowski (Choreographie: Jorma Uotinen) ausgelassenen Witz und jede Menge Akrobatik ins Spiel. Man fühlte sich bestens unterhalten. Ebenso von „Pas de Katz“, einem tigermäßig turbulenten Besuch bei einem balzenden Raubtierpärchen. Spidermans ausladende Fassadengänge mochten Pate gestanden haben beim schmachtenden Körper-Dialog von Bruna Andrade und Yuhao Guo in der Choreographie Raimondo Rebecks. Die tiefemotionale, von existentieller Unbedingtheit kündende Arbeit „Die Therapie“ (Kaito Takahashi, Reona Tabuchi) wäre noch zu nennen, die temperamentvolle „Guajira con Abanico“ mit ihren flamencoartig gestampften Rhythmen (Choreographie: Silke Beck) sowie die aufgewühlt hitzige Werbung um das „Tataren-Mädchen“, mit Sprüngen und gewaltigem Körpereinsatz getanzt von Denise Boccia, Lee Zammit und Kauê Vieira. Und falls es noch nicht erwähnt wurde: Das turbulente Szenario wurde nicht nur temporeich, geschmeidig und im Gestus professioneller Geläufigkeit abgespult, sondern wartete auch mit ungemein exzentrisch innovativen Figuren-Kombinationen auf. Das klassisches Tanztheater erwies sich hier als ungebrochen vital und zukunftsfähig, was nicht zuletzt auch die vielen jungen Leute im Publikum unterstrichen.

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