Neustadt Ein Fest für die Liebe

Mitreißende Weltmusik im besten Sinne : „Dikanda“, in der Reihe „Stimmen der Welt“ zu Gast.
Mitreißende Weltmusik im besten Sinne : »Dikanda«, in der Reihe »Stimmen der Welt« zu Gast.

«Neustadt.» Absperrband vor der Bühne im Park der Villa Böhm: Das hatte beim Konzert des Kulturvereins „Wespennest“ am Samstag nichts mit geplanten Bauarbeiten zu tun. Vielmehr wollte die polnische Gruppe „Dikanda“ beim Auftritt in der Reihe „Stimmen der Welt“ eine Tanzfläche freihalten.

Tatsächlich fanden sich gleich zu Beginn die ersten auf dem improvisierten „Dancefloor“ ein, zu denen sich im Laufe des Abends immer mehr gesellten, bis es auch dort nur noch eingeschränkte Bewegungsfreiheit gab. Die sieben Polen wissen um die geballte Energie, die in ihrer Musik steckt, und die – ist sie erst mal freigesetzt – niemanden still sitzen lässt. Was Bandleaderin Ania Witczak (Gesang, Akkordeon, Trommeln), Kasia Bogusz (Gesang), Dominik Bienczycki (Geige), Szymon Bobrowski (Trompete), Daniel Kaczmarczyk (Perkussion), Grzegorz Kolbrecki (Kontrabass) und Piotr Rejdak (Gitarren), zu Gehör bringen, lässt sich mit einfachen Worten nicht erklären. Es ist Weltmusik in bestem Sinn, die ihre Einflüsse zu einem geringen Teil aus der polnischen Heimat der Bandmitglieder, mehr vom Balkan, dem Orient und Indien bezieht. Da werden (Zigeuner)-Jazz, traditionelle Tanzmusik, aber auch Rock- und Psychedelic-Elemente vermengt, die Texte setzen sich aus polnischen, rumänischen oder bulgarischen Worten zusammen oder sind einfach in „Dikandisch“, einer von der Combo selbst entwickelten Kunstsprache. Dem Zuhörer ist eigentlich nie bewusst, was gerade gesagt wird, und genau darum geht es „Dikanda“ auch. Nichts soll von der Musik ablenken, nicht einmal das Gesungene soll die Aufmerksamkeit des Zuhörers vom Wesen des eben gespielten Songs nehmen. Worte werden zu Silben, Silben zu Lautmalereien, die Bilder entstehen lassen, die jeder für sich deuten soll. Alle Lieder bergen eine immer gleiche Botschaft in sich, die Ania Witczak in ihren Anmoderationen ständig aufs Neue zum Ausdruck bringt: Das Wichtigste im Leben ist die Liebe, das gegenseitige Verständnis, das Hier und Heute und die Lust, gemeinsam zu feiern und glücklich zu sein. Wenn sie oder Kasia Bogusz, in phantasievolle Kostüme gehüllt, zusammen singen oder eine von beiden die Führungsstimme übernimmt, wähnt man sich im Jahr 1967, im „Summer of love“, als ob das Leben nur noch aus Happenings und scheinbar naiver Hippie-Poesie bestünde. Im dem von Witczak geschriebenen Stück „Miłosc“ (Liebe), einem von wenigen in unveränderter polnischer Sprache, wird die Botschaft von „Dikanda“ klar. Ania Witczak drückt es so aus: „Ich weiß mit Sicherheit, dass es die Liebe gibt. Ich wünsche euch und der ganzen Welt ,Milosc’, Liebe“, sagt sie, bevor sie und ihre Begleiter den beinahe poppigen Song anstimmen. Hochkaräter stehen da auf der Bühne: Dominik Bienczycki wirkt mit seinen langen Haaren und seinem mittelalterlich anmutenden Mantel wie ein Derwisch, wenn er mit seiner Geige zum Solo ansetzt, Trompeter Bobrowski sorgt für den jazzigen Anstrich, und Gitarrist Rejdak erweist sich mal als Rocker auf E-Gitarre oder Gipsy-Jazzer auf der akustischen. Die Kultur der Zigeuner genießt überhaupt einen hohen Stellenwert im Schaffen von „Dikanda“. Ihr aktuelles, sechstes Studioalbum trägt den Titel „Devla Devla“, womit der Gott der Roma gemeint ist. Doch bei aller Philosophie, Spiritualität und Poesie, die stets mitschwingt: Das Besondere ist letztlich ihr mitreißender Rhythmus und die Kraft, die sich aus ihr entwickelt und sofort auf das Publikum überträgt. Da wird auf und vor der Bühne getanzt, gelacht, gesungen und das Leben gefeiert. „Muzyka! Muzyka!“ ruft Witczak immer wieder und feuert die Menge damit noch mehr an. Um den Stimmungspegel hochzuhalten, verzichtet die Band – die für den Auftritt in Neustadt (einfach) 1400 Kilometer Anreise auf sich genommen hat – sogar auf eine Pause und spielt zwei Stunden am Stück durch. Selbst nach Konzertende und der Zugabe „Hanko Modrooka“ sind die Besucher nur schwer zu beruhigen. Rolf Raule vom „Wespennest“ sah dem wilden Treiben gelassen zu. „Was die Stimmung anbelangt, wird das am 31. August, beim dritten „Stimmen der Welt“-Konzert mit „Sedaa“ in der Stiftskirche, nicht anders sein“, ist er sich sicher.

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