Neustadt Die Revolution der Zärtlichkeit

Konstantin Wecker beim Bad in der Menge.
Konstantin Wecker beim Bad in der Menge.

«Neustadt». Konstantin Wecker muss man nicht vorstellen. Seit Jahrzehnten ist der heute 71-Jährige einer der beliebtesten und erfolg-reichsten deutschen Liedermacher, Am Sonntag im ausverkauften Saalbau überzeugte er aber auch als Lyriker. Begleitet wurde er von dem Pianisten Jo Barnikel. Seit 25 Jahren befreundet und gemeinsam auf der Bühne, „versteht mich keiner musikalisch so gut wie er“, stellt ihn Wecker vor. Tatsächlich ist Barnikels Spiel so wunderbar gefühlvoll und klar, virtuos und leicht, dass es allein schon den Besuch wert war.

Wecker ist bekannt für sein vielfältiges Engagement, die letzten beiden Jahre ging er mit seinem erfolgreichen politischen Album „Poesie und Widerstand“ auf Tour, keine wirkliche Überraschung also, dass vor dem Konzert die linke Tageszeitung „Junge Welt“ auf sich aufmerksam machen durfte. Dennoch überrascht dann die Intensität, mit der Wecker sein erstes Lied „Willy“ vorträgt, die Erinnerung an einen Freund, der (zum Glück nur in dem Lied) von Rechtsradikalen erschlagen wird. Immer wieder eröffnet Wecker seine Konzerte mit dem erstmals 1977 gesungenen flammenden Plädoyer für Toleranz und Mitmenschlichkeit, das er stets dem aktuellen Geschehen anpasst. „Willy“ ist auch das tragende Stück in Weckers neuestem, bereits 24. Studioalbum „Sage Nein! Antifaschistische Lieder 1978 bis heute“. So zieht der Sänger sofort mit seiner Emotionalität in den Bann, etwa, wenn er sich darüber empört, wie dreist heute wieder der braune Ungeist sein Unwesen treibt, wenn die unfassbaren Verbrechen der Nazis durch den AfD-Fraktionsvorsitzenden Gauland zu einem „Vogelschiss in der Geschichte“ erklärt werden. Ihm komme es vor, als ob das Machogehabe von Trump, Erdogan und Kim Jong-un, „das letzte Aufbäumen des Patriarchats und seiner verunsicherten Männlein sei“. Keine Zweifel lässt Wecker, wofür er kämpft: Zur „Ode an die Freude“ von Beethoven singt er seine Hymne von seinem „Traum von einer herrschaftsfreien Welt“, eine Utopie der liebevollen Anarchie, denn „die Antwort auf Krieg kann nur Gewaltlosigkeit sein.“ Nach diesem furiosen Auftakt wendet sich Wecker den leiseren Tönen zu: „Ich möchte die ganze Welt ,poetisieren’, denn die Mächtigen haben Angst, dass die Poesie etwas in ihnen weckt, was sie auf dem Weg zur Macht verloren haben, sie haben Angst vor der Revolution der Zärtlichkeit.“ „Wir Männer sollten unsere Schwächen kennen“, sagt er auch und wirkt dabei gerade durch seine überwundene Kokainsucht sehr glaubwürdig. Im Grunde seines Herzens sei er aber ein Romantiker, sagt er, und unterstreicht dies mit „Novalis“ und weiteren Liebesliedern. In ihrer einfühlsamen Bildsprache sind diese zum Teil mit Sprechgesang vorgetragenen Gedichte letztlich eine Liebeserklärung an das Leben. Sein bayrischer Blues „Der Wehdamm“ steigert sich von zu Beginn eher komischem Selbstmitleid zu einem mit Barnikel vierhändig gespielten Rock’n’Roll. Wecker spielt den letzten Akkord mit dem Fuß, und das Publikum tobt. Sichtlich bewegt ehrt er dann seinen vor zwei Wochen verstorbenen Freund, den österreichischen Kabarettisten Werner Schneyder mit dessen Nachdichtung von Jacques Brels gefühlvollem „Joe“. Es folgen erneut Liebeslieder, und obwohl er es nur an wenigen Stellen unmittelbar ausspricht, klingt dabei doch stark seine Liebe an seine Frau Annik und seine Söhne durch. Mit lang anhaltendem, begeistertem Applaus verlangt das Publikum mehrere Zugaben, und da bewegt besonders sein Lied über die Widerstandsgruppe der Weißen Rose, „Ihr habt geschrien, wo alle schwiegen, es ging ums Tun und nicht ums Siegen.“ In „Für meinen Vater“ schildert er ergreifend einen lebensfrohen Mann, der bei den Nazis den Kriegsdienst verweigerte, dies wie durch ein Wunder überlebte und der trotz seiner „wunderbaren raumbrechenden Stimme“ niemals vor einem Publikum stand. „Es ist dein unbeachteter Gesang, der in mir klingt und nie mehr von mir wich.“ Tatsächlich hatte Wecker sogar eine alte Tonbandaufnahme mitgebracht, auf der die Familie zu hören ist, wie sie gemeinsam im Wohnzimmer Arien singt. Bei seiner Version von „Caruso“ von Lucio Dalla zeigt Wecker noch einmal seine unglaubliche Bühnenpräsenz. Sein Alter ist ihm nicht anzumerken, dieses und wahrscheinlich jedes Konzert spielt er so, als sei es das wichtigste in seiner Karriere. Dann geht Wecker ins Publikum, spontan umarmen ihn mehrere Gäste, er drückt Hände, seine Lebensfreude ist ansteckend. Seine Lieder berühren und hallen in den Menschen nach. Schließlich verabschiedet er sich mit einem Gedicht, dessen Credo den Geist des Konzertes trifft: „Was wirklich zählt, ist der Augenblick“.

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