Neustadt Die Niedertracht der Kleinbürger

Der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, während der Urteilsverkündung am 8. August 1944 gegen acht der Beschuldig
Der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, während der Urteilsverkündung am 8. August 1944 gegen acht der Beschuldigten des Attentats auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 – unter ihnen auch Generalleutnant Paul von Hase, der noch am gleichen Tag in Plötzensee gehenkt wurde.

«Neustadt». Die unvorstellbare Brutalität des NS-Regimes traf ganz zum Schluss auch die alten Eliten. Zumindest jene davon, die wie die Verschwörer vom 20. Juli 1944 den Mut aufbrachten, alles auf eine Karte zu setzen, um Deutschland von der Diktatur zu befreien. Welche Konsequenzen das nach dem Scheitern des Attentats für die Familienangehörigen hatte, davon berichtete am Montag Friedrich-Wilhelm von Hase als Zeitzeuge in der Neustadter Gedenkstätte für NS-Oper.

Der heute 80-Jährige war gerade einmal sieben Jahre alt, als sein Vater, Generalleutnant Paul von Hase, am 8. August 1944 nach kurzem Prozess vor dem Volksgerichtshof in Plötzensee hingerichtet wurde. Der Vater war, wie der Sohn unter Berufung auf die Erinnerungen seiner Mutter berichtete, zwar nicht direkt in die Planungen des Attentats einbezogen gewesen und auch grundsätzlich skeptisch, was die Erfolgsaussichten anbelangte, doch kam ihm als Stadtkommandant der Wehrmacht in Berlin eine Schlüsselrolle zu, Er sollte mit seinen Truppen das Regierungsviertel abriegeln und den Propagandaminister Goebbels in seinem Amtssitz verhaften. „Die Verschwörer kannten Paul von Hase so gut, dass sie davon ausgingen, im entscheidenden Moment auf ihn zählen zu können“, heißt es dazu in dem Buch „Hitlers Rache“, in dem Friedrich-Wilhelm von Hase 2014 die Erinnerungen der Familie versammelte und zugleich mit Hilfe zahlreicher Fachwissenschaftler eine objektive Einordnung des Geschehens versuchte. Der preußisch-nüchterne Geist, der aus diesen Dokumenten zum Leser spricht, prägte auch den Vortrag in Neustadt. Doch gelegentlich blitzte auch Humor auf. Vom Geschehen des 20. Juli selbst hat Friedrich-Wilhelm von Hase als Jüngster der Familie nur sehr wenig mitbekommen. Die von Hases wohnten damals in der Kommandantur direkt am Boulevard Unter den Linden, doch der Kleine befand sich zum Zeitpunkt des Attentats bei einer Tante auf dem Land und wurde erst lange nach allen anderen Familienmitgliedern am 17. August 1944 von der Gestapo abgeholt und zusammen mit rund 40 anderen Kindern von Widerständlern anderthalb Monate lange in einem Kinderheim im Harz festgehalten. Welche Pläne die Nazis mit ihnen hatten, darüber kann auch von Hase heute nur spekulieren. Himmler jedenfalls soll in einem der für ihn typischen Wutanfälle davon gesprochen haben, alle Familien „auszurotten“. Von seinem eigenen Erleben dieser schwierigen Tage berichtete von Hase leider nur wenig. Stattdessen las er aus dem Buch das 1999 abgefasste Erinnerungsprotokoll seines zwölf Jahre älteren Bruders Alexander, damals Geschichtsstudent in Berlin, der genau wie Mutter und Schwester am 1. August verhaftet und zehn Wochen lang im Gefängnis in der Lehrter Straße in Einzelhaft gehalten und gefoltert wurde. Die erstaunlich distanzierten Schilderungen beeindruckten die rund drei Dutzend Zuhörer sichtlich – nicht zuletzt deshalb vielleicht, weil sie die leeren Zellen der NS-Gedenkstätte gleich nebenan gleichsam mit Leben erfüllten. Waren es dort vor allem Sozialdemokraten und Kommunisten, die 1933 gequält wurden, so kamen nun 1944 die Angehörigen der Militär- und Bildungselite an der Reihe – doch gibt es bei allen Unterschieden doch eine Gemeinsamkeit, die Niedertracht nämlich, wie die Schergen, oft sich zu kurz gekommen wähnende Kleinbürger, die ihnen in die Hand gegebene Macht ausnutzten. Fast genauso beschämend war ein anderer Aspekt, von dem von Hase eher am Rande berichtete: der lange Kampf der Familie in der Nachkriegszeit um Anerkennung. Geschichte aus der Perspektive von direkt Beteiligten zu erleben, war also auch diesmal wieder eine spannende Sache. Umso erfreulicher, dass von Hase bereits am Vormittag auch das KRG besucht und dort auch vor Gymnasiasten und Schülern der BBS gesprochen hatte. Lesezeichen Friedrich-Wilhelm von Hase (Hrg.): Hitlers Rache. Das Stauffenberg-Attentat und seine Folgen für die Familien der Verschwörer. Verlag SCM Hänssler, gebunden, 368 Seiten, 19,95 Euro.

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