Neustadt Die Lyriker unter den deutschen Jazzern

«Neustadt.» Es regnet, und es ist Vorweihnachtszeit: ideales Jazzwetter am Freitagabend im „Steinhäuser Hof“. Zu Gast: die „Forsonics“ aus Nordrhein-Westfalen. Sie sind zum zweiten Mal hier und wurden erneut eingeladen, weil ihre Musik scheinbar ohne Eile ist, man sich ihr gedankenverloren hingeben kann. Es ist Jazz, aber nicht eindeutig einer Zeit und Stilrichtung zuzuordnen.

Vier Musiker, unter denen Chris Fischer an Trompete und Flügelhorn optisch wie akustisch hervorsticht. Anfangs wackelt der Ton noch, weil ein Flügelhorn eine Diva ist, aber Fischer überzeugt das Instrument schnell von seinen Tonbildungen und Ideen, setzt romantisch-schöne Melodielinien, die mit ihrer unglaublichen Einfachheit verzaubern. Carsten Stüwe am roten „Nord“-Stage-Piano, das wie ein echtes Klavier, aber auch wie ein Fender-Rhodes-E-Piano klingen kann und den Spieler aus sich selbst heraus inspiriert. Dann Bert Fastenrath an einer spanischen akustischen und einer bundlosen elektrischen Gitarre, die „unten abgestimmt“ wird und die sich bei entsprechender Spielweise auch wie ein E-Bass anhört. Andy Gillmann am Schlagzeug, der in einem Solo zeigt, welche Klangvielfalt in zwei Jazzbesen stecken kann, der allen Stücken das rhythmische Sahnehäubchen aufsetzt, ohne je dominant zu wirken. Flügelhorn und Gitarre führen die Melodie zu Beginn parallel, was ein völlig neues Klangbild ergibt: wunderschöne Klänge, die Geschichten von Reisen erzählen. Das war auch die Grundidee der neuen CD „Timeline“. „Sunrise over the fjell“, ein Stück, das in Norwegen entstand und sehr gut in diese einmalige Landschaft passt. Stücke tragen programmatische Titel wie „It’s over“ und „Don’t wait for me“ oder erzählen von einer unglücklichen Urlaubsliebe, von Trauer, Schmerz und Sehnsucht. Ein Stück hätte „Anna Maria“ heißen sollen, aber „das hatte zu Hause Erklärungsbedarf gegeben“, also nannten sie es „Toledo“. Leicht spanisch angedeutete Gitarren und tiefe, groovende Basslinien. Das Flügelhorn klingt melancholisch, das Keyboard liefert sphärische Gitarrenklänge, nur vom Bass begleitet. Musikalisch sind die „Forsonics“ eine Offenbarung, zu denen die Gaumenfreuden der „Urgestein“-Küche bestens passen. Die Band kommt viel herum, erlebt viel und verarbeitet es in Songs. In Heidelberg saßen sie im Freien beim Essen, um 12 Uhr „schepperte die Kirchturmuhr“, und das erinnerte an den Western „12 Uhr Mittags“: Daraus wurde das Stück „Hi Noon“ – in memoriam Enrico Morricone. Im zweiten Set wird es noch intensiver, eine musikalische Befreiung der Seele: „Bitter sweet“ im Sechsachtel- Rhythmus. „La Luna de Gredos“ ist spanisch inspiriert im außergewöhnlichen Dreier-Takt. Das „Heimatlied“ nennt die Band aus Nordrhein-Westfalen einen „Wupper-Fado“, eine Hommage an den aus Portugal stammenden und mit seelischen Nebenwirkungen behafteten Blues Südeuropas. Die einzige Fremdkomposition stammt von Jesse Harris und wurde durch Norah Jones bekannt: „Don`t know why“. Doch wer nun denkt, „das kenn ich und da kann ich mitsingen“, wird aufs musikalische Glatteis geführt. Die Version der „Forsonics“ ist sperrig und verschoben. Die gestopfte Trompete von Chris Fischer klingt da ein wenig nach Miles Davis, der bekanntlich auch vor Popmusik nie zurückschreckte, aber ihr seinen Stempel aufdrückte. Die „Forsonics“ schaffen es, mit ihrem Klang und Improvisationen etwas sehr Menschliches, Persönliches anzustoßen, ohne dabei aufdringlich zu werden, heißt es im Bandinfo. Das trifft es wirklich auf den Punkt. Ihre Musik lässt Bilder voller Größe, Nähe und Tiefe entstehen. Die „Forsonics“ bezeichnen sich als „Lyriker unter den deutschen Jazzern“. Ein hoher Anspruch, aber man sieht am Ende des Konzerts viele tiefenentspannte Gesichter.

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