Neustadt Der Blues kommt gar nicht aus Amerika

„Dös is zum Jodeln“ sagt man in Bayern, wenn einem etwas gehörig gegen den Strich geht. Dem Trio des „Bairisch Diatonischen Jode
»Dös is zum Jodeln« sagt man in Bayern, wenn einem etwas gehörig gegen den Strich geht. Dem Trio des »Bairisch Diatonischen Jodelwahnsinns« ist deshalb sehr oft zum Jodeln zumute.

«Neustadt». Jenseits der bayerischen Landesgrenzen treten die drei Musiker des „Bairisch Diatonischen Jodelwahnsinns“ nur selten auf. Umso erfreulicher, dass sie sich am Donnerstag doch einmal zu einem Ausflug an den Rand des Weißwurstäquators aufgemacht hatten und im Roxy-Kino, eingeladen vom Kulturverein Wespennest, ihre zweistündige, anarchische Musikkabarettshow auf die Bühne brachten.

Das Trio gibt es bereits seit mehr als 30 Jahren, von der Urbesetzung ist heute aber nur noch der Sänger, Akkordeon-, Tuba- und Flügelhornspieler Otto Göttler übriggeblieben. Nachdem sich die von ihm gegründete Erstauflage des „BDJW“ 2002 aufgelöst hatte, war es sein Verdienst, das Erfolgsensemble zwölf Jahre später wieder neu zu beleben. Zunächst stieß die in der Voralpenregion als „Geigen-Petra“ bekannt gewordene Violinistin, E-Bassistin, Sängerin und Flötistin Petra Amasreiter zu ihm, 2016 vervollständigte der Gitarrist, Multiinstrumentalist und Filmkomponist Wolfgang Neumann das Trio Ganz ausverkauft war das Kino nicht, viele „Wespennest“-Stammkunden hatten sich vielleicht von dem Begriff „Jodel“ im Bandnamen des „BDJW“ auf eine falsche Fährte locken lassen. Das Göttler & Co. mit Volkstümelei nichts, aber auch gar nichts zu tun haben, stellte sich für alle, die gekommen waren, aber schnell heraus. Zwar haben die meisten ihrer Lieder tatsächlich volksmusikalische Wurzeln, trotzdem unterscheiden sie sich komplett von dem, was in einschlägigen Fernsehshows als volkstümliche Musik bis zum Erbrechen vermarktet wird. „Bairisch Diatonischer Jodelwahnsinn“ bedeutet „echte“ und „wahre“ Volksmusik mit Texten, die, um verstanden zu werden – nicht nur ihres Dialektes wegen – sehr viel Aufmerksamkeit erfordern. Was es schließlich mit dem Jodeln auf sich hat, erklärte Petra Amasreiter: „Wenn einem etwas völlig über die Hutschnur geht, sagen wir dazu in Bayern ,Dös is zum Jodeln’.“ Ob der neue bayrische Ministerpräsident Markus Söder zum „Jodeln is“ ließ anschließend Otto Göttler bei seinen einführenden Worten offen, aber einen Ausländer – also einen Franken – als Landesoberhaupt über sich zu wissen, ist nicht leicht für ihn – „da musst’ scho schwer beißen als Oberbayer“, kommentierte er. Trotzdem ließen weder er noch seine Mitmusiker sich davon die Laune zerstören, das Leben muss ja auch im tiefsten Bavarien irgendwie weitergehen, und so trug das Lied, dass die Kapelle an den Anfang ihrer Show gestellt hatte, auch folgerichtig den Titel „Auf geht’s (jetzt pack mers o)“. Anpacken mussten gleich darauf auch die Zuschauer/hörer im Kinosaal, denn ganz alleine wollten die Musiker ihre Vorstellung nicht abarbeiten. Zu diesem Zweck verteilten sie jede Menge Müllsäcke und Kunststofftaschen im Publikum mit der Aufforderung, mit diesen zum Titel „Platiktütn“ rhythmischen Lärm zu erzeugen, ein Ansinnen, das gerne von allen befolgt wurde. Das zunächst noch recht lustig wirkende Lied verwandelte sich mit zunehmender Spieldauer in eine harsche Kritik am Umgang des Menschen mit seiner Umwelt. Überhaupt ist es die Kunst der Gruppe, in ihren Texten schwerwiegende Probleme oberflächlich betrachtet recht harmlos wirken zu lassen, dabei aber die Folgeerscheinungen falschen Tuns nie zu verschweigen. Lösungen oder wenigstens bessere Alternativen bietet der „Bairisch Diatonische Jodelwahnsinn“ aber nie an. Ihm geht es vielmehr darum, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und sie damit zum Nachdenken, im besten Fall zur Abkehr vom falschen Weg zu veranlassen. Ein Beispiel dafür ist das Stück „Guat integriert“, das entstanden ist, als die ehemaligen Münchener Städter Göttler und Amasreiter in Dörfer südlich der bayerischen Hauptstadt gezogen sind und feststellen mussten, dass es gar nicht so einfach ist, von der dortigen Landbevölkerung als Teil ihrer Gemeinschaft anerkannt zu werden. Parallelen zu den derzeit viel diskutierten Integrationsproblemen lassen sich auf diese Weise auf verständliche, sogar humorvolle Art aufzeigen, werden aber nicht spezifisch angesprochen. Und so wurde viel gelacht im „Roxy“, stellenweise mitgesungen, und sogar einiges über Kulturhistorie gelernt, unter anderem dass, wie im Lied „Brauna Baaz“ deutlich gemacht, der amerikanische Blues nur ein Ableger des bayerischen Jammerjodlers ist. Den Leadgesang teilten sich den Abend über alle drei Protagonisten, und zwischendurch gab es auch immer wieder einige Instrumentalstücke zu hören, bei denen sich jeder der Musiker als Allroundtalent erwies. Neumann und Amasreiter betrieben dabei „Gitarren-Sharing“, wie sie es ausdrückten, und Göttler tauschte das namensgebenden Diatonische Akkordeon stellenweise gegen die Ziach, Ukulele und singende Säge aus. Ganz ohne ein Coverstück ging es nicht ab. So wurde aus J. J. Cales „Cocaine“ das deutsche „Koffein“, vorgetragen auf Gitarre, elektrischer Violine und Flügelhorn. Die Zugabe fiel dann mit dem „Scheißsong“ im Gegensatz dazu recht poppig aus.

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