Neustadt Auf Mission Geißbock

Ordentlich Zug drauf hatte der Tributbock Maximilian, gezogen von Bräutigam Maximilian Groß (Mitte) und Büttel Swen Sauer (recht
Ordentlich Zug drauf hatte der Tributbock Maximilian, gezogen von Bräutigam Maximilian Groß (Mitte) und Büttel Swen Sauer (rechts), begleitet von Braut Julia Dörrzapf und Stadtbürgermeister Karl-Günter Müller.

Reportage: Seit 1404 bringen die Lambrechter jedes Jahr am Dienstag nach Pfingsten einen Tributbock nach Deidesheim. Der Fußmarsch durch den Pfälzerwald ist ohnehin schon anstrengend. Und dann hat das Brautpaar als Überbringer auch noch eine Ziege an der Leine, die es ganz schön eilig hat.

«Lambrecht/Deidesheim.» Kurz nach 5.30 Uhr: Ein Klackern hallt durch die Lambrechter Wiesenstraße. Es sind nicht nur die Stöcke der schnatternden und lachenden Wanderer, die die noch schläfrige Stadt an diesem Morgen mit Leben füllen. Es ist auch das Hufgetrappel des 615. Tributbocks Maximilian, gezogen vom jüngstvermählten Ehepaar der Stadt, Julia Dörrzapf und Maximilian Groß. Genau genommen ist es der Bräutigam, der den Bock an der Leine hält, gemeinsam mit dem Büttel Swen Sauer. Noch genauer genommen lassen sich die beiden Männer vom Geißbock ziehen. Denn Olli hat einen ganz schön Zug drauf. Das beweist er schon an der Friedrich-Ebert-Brücke in Lambrecht, wo sich mehrere hundert Menschen inklusive Grundschüler vor Sonnenaufgang zum Marsch aufgemacht haben. „Ich mach’ das nicht zum ersten Mal“, wird Sauer ein paar Kilometer weiter sagen, „aber noch nie hatte einer so viel Kraft.“

Bock kommt in den Transporter

Zum Glück muss das Paar das Tier nicht die kompletten rund 13 Kilometer von Lambrecht nach Deidesheim führen. Am Stadtrand wird das Tier in einen Transporter verladen. Später wird es zur Waldschenke gefahren und dort wieder dem Brautpaar übergeben. Dem Brauch nach, der auf einem uralten Abkommen zwischen den beiden Städten basiert, müssen die Lambrechter für Weiderechte auf Deidesheimer Gemarkung jeden Dienstag nach Pfingsten bis 10 Uhr am Morgen einen gut gehörnten und gebeutelten Geißbock nach Deidesheim bringen, wo das Tier am Abend versteigert wird. Doch weil ein Bock, so erzählt es ein Wanderer im Wald, einmal auf dem Weg zusammengebrochen sei, verzichtete man seither darauf, die Ziege die volle Strecke mitlaufen zu lassen.

Braut tauscht Dirndl gegen Wanderklamotten

Während der Bock also im Transporter wartet, tauscht das Brautpaar Dirndl, Frack und schicke Schuhe mit Wanderklamotten und folgt dem ganz schön Tempo machenden Pulk zur Lambrechter Straße Richtung Lindenberg. Dunst liegt über dem Tal, die Sonne hat es noch nicht über den Berg geschafft. Hans-Georg Arnold hat es zum ersten Mal geschafft, beim Geißbockmarsch mitzulaufen. „Das war ein Vorsatz zu Neujahr, nachdem mir immer wieder das Wetter oder irgendwelche Bürotermine dazwischen gekommen sind“, erzählt er. Arnold ist unterwegs mit seinen Freunden Bernd Herget und Ed Stafford. Letzterer kommt aus Michigan, wohnt aber seit 37 Jahren in Deutschland, mittlerweile in Maudach. Der Rentner und geübte Wanderer läuft das erste Mal mit: „Bernd hat gesagt, wir müssen um 3.30 Uhr aufstehen. Ich sagte ,Gehen wir!’“ Anders ging es Doris Weinschenk und Klaus Tschirner aus Mannheim. „Das Aufstehen ist schon hart. Aber wir waren letztes Jahr schon dabei und wussten, was uns erwartet“, sagt Weinschenk. Mit etwa 50 Mitläufern hatten sie vergangenes Jahr gerechnet. Am Ende waren es – wie dieses Mal auch – zwischen 350 und 400.

Schoppengläser, Wein und Wasser im Gepäck

Sie alle bewegen sich mal flotter, mal langsamer den Berg hinauf. Am Forsthaus Silbertal halten die ersten kurz an, schenken sich Weizenbier in Pappbecher, schnaufen einmal kräftig durch – und träumen von Spanferkel und Saumagen, die das Gasthaus auf einer Tafel bewirbt. Es ist 6.40 Uhr. Wer denkt, dass es ab hier nur noch bergab geht, liegt ziemlich daneben. Eine halbe Stunde lang führt der Weg weiter nach oben. „Die Böcke waren damals bestimmt ganz abgemagert nach dieser Tour und nicht mehr schlachtreif“, bemerkt Bernd Herget. Von den Wanderern magert bestimmt niemand so schnell ab: Die Rucksäcke sind gefüllt mit Trockenwürsten, Käse, Laugenstangen. Auch Schoppengläser, Wein und Sprudel haben viele im Gepäck. Weinschorle im Pfälzerwald gehört halt doch irgendwie dazu. Auch um 7.10 Uhr. Ein paar Minuten später trudelt das Geißbockbrautpaar ein. Julia Dörrzapf und Maximilian Groß sind geübte Läufer, ihr Labrador hält sie auf Trab. Zudem sind sie bereits geißbockerprobt: Vor zwei Jahren liefen die beiden den Marsch schon mal mit. Den Heiratsantrag machte Groß, der in Esthal aufgewachsen ist, im Österreich-Urlaub vergangenen August. „Da hatte Maximilian schon mit dem Bürgermeister abgemacht, dass wir am Pfingstwochenende heiraten und Geißbockbrautpaar werden“, erinnert sich Julia Dörrzapf.

Päuschen im Schatten

In der Waldschenke – da ist der Großteil geschafft – werden sie von den historisch gekleideten Deidesheimer Stadtsoldaten empfangen. Der Waldhüter verliest den Vertrag und erlaubt dem Paar samt Gefolge, die Stadtgrenze zu überqueren. Weil die Schar bereits kurz nach 9.30 Uhr nahe der Grenze ist, gibt es ein kurzes Päuschen im Schatten, für Bock Maximilian Wasser aus der Flasche von Lambrechts Stadtbürgermeister Karl-Günter Müller. Auf den letzten Metern werden die Lambrechter von Deidesheimern, allen voran Stadtbürgermeister Manfred Dörr mit aufwendig gekleidetem Gefolge, sowie von Medienleuten begrüßt. Dörr fragt den Waldschütz nach der Güte des Bocks. Dessen Urteil: „Er ist ein Prachtbock.“ Der Deal ist perfekt, der Bräutigam übergibt das Tier dem Bürgermeister. Darauf erst einmal einen Schluck Wein. Bevor es dann, von einer Fanfare begleitet, auf den Marktplatz geht zum Feiern. Schließlich hat Deidesheim nicht umsonst den „Pfingstdienstag“ zum offiziellen Feiertag erkoren.

Die Deidesheimer laufen zur Stadtgrenze, um das Brautpaar und den Tributbock zu empfangen.
Die Deidesheimer laufen zur Stadtgrenze, um das Brautpaar und den Tributbock zu empfangen.
Lindwurm gegen 5.45 Uhr bei Lindenberg: die Wanderer auf dem Weg nach Deidesheim.
Lindwurm gegen 5.45 Uhr bei Lindenberg: die Wanderer auf dem Weg nach Deidesheim.
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