Ludwigshafen Wirklichkeit, Bildlichkeit, Ironie?
„Wie real sind unsere Bilder?“ Die laufende Ausstellung „Pop up! Bildikonen der 60er und 70er Jahre“ hat dem Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum Anlass gegeben, diese grundsätzliche Frage einmal zu stellen. Der Grafikdesigner und Künstler Klaus Staeck diskutierte darüber mit dem Mannheimer Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch.
Unter einer Bildikone ist ein Bild zu verstehen, das mehr sagt als das, was es darstellt. So definierte Museumsleiter René Zechlin eingangs als Moderator den Untertitel der Ausstellung. In Andy Warhols Siebdruck von der Hollywood-Schauspielerin Marilyn Monroe etwa kommt das Lebensgefühl einer ganzen Generation zum Ausdruck. Oder im Foto von der Flugzeugattacke auf das World Trade Center in New York am 9. September 2001 verdichtet sich der Beginn einer neuen Epoche der Weltgeschichte, die vom Konflikt der westlichen Demokratien mit den muslimischen Theokratien beherrscht ist. Mit seiner in der Ausstellung zu sehenden Collage „Coca Cola II“ hat Klaus Staeck ebenfalls eine Bildikone geschaffen. Denn in der Coca-Cola-Flasche neben der US-Flagge auf dem Mond ist die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihrer technischen Fortschrittsgläubigkeit und ihrer Sucht nach leichter Unterhaltung ins Bild gesetzt. So wenig Anstoß wie diese Collage haben freilich nicht alle Kunstprodukte des mehrfachen Documenta-Teilnehmers erregt. 41 Prozesse sind gegen den studierten Juristen wegen seiner provokanten Plakate angestrengt worden, keiner wurde gewonnen. Am bekanntesten ist das Plakat, mit dem der überzeugte Sozialdemokrat 1972 in den Wahlkampf eingegriffen hat: „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen.“ Staeck, bis 2015 Präsident der Akademie der Künste, bedauerte jetzt im Hack-Museum allerdings, dass Ironie häufig nicht verstanden werde. So seien ihn seinerzeit revoltierende Studenten angegangen und hätten gefragt, ob er etwa glaube, dass auch nur ein einziger Arbeiter eine Villa im Tessin besitze. Dass Doppeldeutigkeit und Paradoxie dem Bild selbst wesentlich sind, betonte Jochen Hörisch, Inhaber des Lehrstuhls für neuere deutsche Literaturwissenschaft und Medienanalyse an der Universität Mannheim. Der Professor, der den Part des Theoretikers übernahm, ging von der Redewendung „im Bilde sein“ aus, die ja sagen will, dass eine angemessene Vorstellung von etwas vorliegt. Eine Unterscheidung von Sein und Schein – hie wahre Wirklichkeit und da bloße Bildlichkeit – hielt er für zu grob. Auch das Bild sei ja wirklich, und gerade in dieser unwirklichen Wirklichkeit bestehe seine Doppeldeutigkeit. Bilder an sich würden aber ebenso wenig wie die Realität selbst lügen. Erst die Rede über etwas, die Aussage im Satz könne Anspruch auf Wahrheit erheben oder der Lüge überführt werden. „Der Wein kann nicht lügen, ein Etikett schon“, zog Hörisch einen Vergleich heran. Völlig überzeugen konnte der Professor den Künstler damit freilich nicht. Klaus Staeck war eher geneigt, auch dem Bild an sich die Kraft zur Lüge zuzutrauen. Einig waren sich beide jedoch darin, dass der Fotografie ein höherer Wahrheitsgehalt zukommt als dem gemalten Bild. Von der Fotografie kamen die Gesprächspartner dann auf die Digitalisierung und das virtuelle Bild. Mit der Digitalisierung sei der Mensch nun endgültig ins Zeitalter des Konstruktivismus eingetreten, stellte Hörisch fest. Staeck dagegen glaubt an eine analoge Zukunft: „Solange man sich im Netz noch nicht küssen kann, werden wir wohl analog bleiben.“ Auch der Hinweis aus dem Publikum auf heute bereits praktizierten Cyber-Sex mittels Elektroden vermochte seinen Glauben nicht zu erschüttern. Dass er gleichwohl nicht völlig sorglos ist, was die Zukunft betrifft, zeigt eines seiner Plakate aus jüngerer Zeit. Auf Dürers Gemälde „Die vier apokalyptischen Reiter“ hat der Grafiker warnend mit roter Farbe aufgetragen: „Amazon“, „Apple“, „Google“, „Facebook“. Mehr Sorgen freilich macht sich Staeck um die Zukunft der Demokratie, auch wenn er sie in Deutschland noch für recht stabil hält. „Wir haben etwas zu verteidigen“, meinte er. „Ich tue das mit Bildern.“ Termin „Pop up!“ bis 15. Januar 2017 im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen, Berliner Straße 23. Öffnungszeiten Di, Mi, Fr 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, Sa, So und feiertags 10-18 Uhr. Montags und am 24. und 31. Dezember geschlossen. Am 25. und 26. Dezember sowie am 1. Januar 10-18 Uhr.