Ludwigshafen „Wir sind nicht die Mehrheit“
Ja, auf jeden Fall sind wir in einer Diaspora-Situation. Wir sind hier keine Mehrheitskonfession. Wenn wir die Christen alle zusammenrechnen – wir haben ja auch eine große griechisch-orthodoxe Gruppe und die italienische Auslandsgemeinde in St. Dreifaltigkeit – wird der Anteil wohl bei knapp 50 Prozent der Bevölkerung liegen. Und wie viele Moscheen gibt es im Stadtteil? Da sind einige in der Nähe. Wenn wir die Moschee in der Krummlachstraße zu West zählen und die Moschee in der Industriestraße zu Friesenheim, dann haben wir hier einen kurdischen Moscheeverein in der Rohrlachstraße und die Moschee gegenüber dem Pfarrhaus in der Von-der-Tann-Straße. Evangelisches Pfarrhaus und Moschee in direkter Nachbarschaft – wie empfinden Sie das? Ist das eine Konkurrenzsituation oder kooperieren Sie? Ich würde fast sagen: weder Konkurrenz noch Kooperation. Es ist halt ein Nebeneinander im Stadtteil, in einem ziemlich bunten Stadtteil. Wir haben offiziell keine Kontakte auf der muslimischen Vereinsebene. Woran liegt das? Ich denke, der Kooperation auf der Organisationsebene steht immer noch die Sprachbarriere im Weg. Es sind ja nicht nur die Muslime, die da freitags Predigten auf Türkisch halten, es sind auch die Italiener und Griechen, die im Alltag in ihrer Muttersprache bleiben. Es wäre sicher einfacher, könnte man alle Predigten auf Deutsch mithören. Dann würde man sich besser verstehen, und es gäbe weniger Vorurteile. Man muss ja nicht unbedingt die Gottesdienste besuchen. Könnte man sich nicht auch in interreligiösen Gesprächsrunden näherkommen? In Dialogkreisen über die religiösen Urkundentexte zu sprechen, davon halte ich nicht mehr so viel. Ich denke, es führt nicht weiter, nach gemeinsamen Quellen zu suchen. Ich finde es gut, wenn man sich in der Verschiedenheit anerkennt. Und es auch so belässt. Ich freue mich immer über Menschen, die ihrer Religion nachgehen. Sie sind wichtig für unsere Gesellschaft. Denn wir haben ja auch einen großen Anteil von Menschen in der Stadt, die sich keiner Religion verbunden fühlen. Auch der größte Teil der muslimischen Bevölkerung ist heute säkular orientiert. Gibt es denn gar keine Berührungspunkte zwischen Christen und Muslimen? Doch, zum Beispiel, wenn wir ein gemeinsames Fest feiern. Der Ortsvorsteher Antonio Priolo lädt dazu einmal im Jahr ein. Da kommt es zu guten Begegnungen. Und von Kirchengemeinden und Moscheevereinen wird viel karitativ getan. Das ist ein wichtiger Beitrag für ein gutes Miteinander im Stadtteil. Und dann gibt es natürlich die Kindertagesstätte der Apostelkirche, die unsere Berührungsfläche mit dem Stadtteil ist, mit den Familien, die hier leben. Ich vermute, dass auch dort die evangelischen Kinder in der Minderheit sind? Ja. Wir haben 2013 von 50 Kindern 36 muslimische Kinder gehabt. Der größte Teil davon aus türkischen Familien, aber auch aus irakischen oder albanischen Familien, die muslimischen Glaubens sind. Dann hatten wir neun christliche Kinder, vier konfessionslose und ein Kind aus einer mormonischen Familie. Unsere Kita ist keine evangelische Kaderschmiede, wo wir etwas für die evangelischen Familien tun. Die sind hier sehr rar gesät. Es gibt fast keine evangelischen Kinder und Jugendlichen im Stadtteil. Auch wenn die Mehrzahl der Kinder muslimischen Glaubens ist, so bleibt die Kita dennoch eine protestantische Einrichtung, die die Kinder im christlichen Sinn erziehen soll. Wie gehen Sie konkret im Alltag mit den verschiedenen Religionen um? Als christliche Einrichtung stellen wir natürlich die Religion in den Mittelpunkt unserer Arbeit. Das fängt beim gemeinsamen Tischgebet an, wo die beiden vertretenen Religionen ein kurzes Gebet sprechen. Wenn wir Gottesdienste machen, laden wir auch die muslimischen Familien ein. Wir wollen die Religionen nicht zusammenrühren, aber die muslimischen Gäste sollen auch repräsentiert sein, beispielsweise mit einem Gebet. Und dann haben wir einmal im Monat einen Erzählkreis, der von den beiden Religionen abwechselnd gestaltet wird. Uns ist es sehr wichtig, dass die Kinder die Geschichten, die sie hören, an der jeweiligen Person festmachen. Sie wissen: Der Pfarrer Bauer, der ist Christ und erzählt uns christliche Geschichten, und die türkische Mitarbeiterin erzählt muslimische Geschichten aus dem Koran und dem Leben Mohammeds. Das heißt, beide Religionen finden in der Kita gleichberechtigt statt? Es ist uns sehr wichtig, dass die Kinder sich in ihrer Mutterreligion beheimatet fühlen können, dass sie aber die andere Religion kennen, da keine Berührungsängste haben und einfach wissen: Es gibt ein gutes Miteinander, das die Erwachsenen dann vorleben. Wir wollen die Gemeinschaft der Religionen im Kleinen im Kindergartenalltag abbilden. Wir hegen die Hoffnung, dass es dann auch mal im Stadtteil so sein wird. Wählen die islamischen Eltern Ihre Kita bewusst aus oder kommen sie, weil es woanders keinen Platz gibt? Die türkischen Eltern bringen praktisch schon seit Generationen ihre Kinder in unsere Einrichtung. Sie tun das gerne – wegen des Respekts gegenüber den Religionen und wegen der Tatsache, dass Religion im Alltag überhaupt eine Rolle spielen darf. Dann spielt auch eine Rolle, dass man nicht missionarisch vorgeht und die eigene „Lufthoheit“ dafür ausnutzt, beispielsweise nur christliche Geschichten zu erzählen. Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft und da ist die evangelische Gemeinde mit 15 Prozent nur eine der Kulturen und Religionen, die hier vertreten sind. Das bejahen wir und wollen uns in diese Vielfalt der Gesellschaft unterstützend einbringen. Sie haben gerade erwähnt, dass in der Kita auch muslimische Erzieherinnen arbeiten. Ist das für einen evangelischen Kindergarten nicht ungewöhnlich? Unsere Kita ist schon eine Ausnahme, weil wir über die ACK-Regel hinweggehen, dass Mitarbeiter einer christlichen Kirche angehören sollen. Aber uns ist es wichtig, dass wir auch muslimische Mitarbeiterinnen beschäftigen. Einerseits sollen sie Vorbilder sein in ihrem Sprachgebrauch, weil sie sehr gut Deutsch sprechen. Aber sie können auch Brücken in die türkischen Familien schlagen. Eine der drei türkischen Erzieherinnen ist die interkulturelle Fachkraft, die speziell für die Arbeit mit Migranten eingestellt ist. Die beiden anderen beschäftigen wir wegen des Religionsschwerpunktes. Wir machen das bewusst und haben damit auch Erfolg. Wenn Sie Ihre Pfarrstelle mit anderen Gemeinden vergleichen, dann … … ist es sehr spannend, hier im Hemshof zu arbeiten und ist ganz sicher ein anderes Arbeiten als in Gemeinden, die noch eine natürliche Generationenfolge haben. In der Gemeinde gibt es einige Spezifika, die fast einmalig in der Landeskirche sind. Was ist das Besondere? Ich habe selber Migranten in meiner Gemeinde. Denn ein Drittel meiner 2100 Protestanten zieht jedes Jahr zu oder weg. Die sind also unterwegs, die erreiche ich gar nicht. Ich kann ihnen hier auf ihrem nomadischen Weg mal ein gastliches Nomadenzelt bieten, sie in die Kirche einladen. Leider ziehen die Menschen oft weg, wenn Kinder da sind. Denn das ist ein anderer Kennwert meiner Kirchengemeinde: Obwohl wir keine evangelischen Kinder haben, sind wir die jüngste Gemeinde im Kirchenbezirk Ludwigshafen. Wir haben es hier mit sehr vielen jungen Menschen zu tun, die berufstätig oder arbeitslos sind. Und das ist das andere große Thema – eben die sozialen Bedingungen, unter denen Menschen hier leben, die Suppenküche, die wir hier beheimaten. Das ist ein ganz anderes Arbeiten, als wenn ich Protestanten von der Wiege bis zur Bahre begleiten kann. Das ist hier nicht der Fall. Was sind Ihre Ideen oder Visionen, damit aus dem Nebeneinander von Christen und Muslimen ein Miteinander wird? Was ich mir wünsche, wäre ein „Forum der Religionen“, in dem Religionsvertreter zusammenkommen, sich über Themen in der Stadt austauschen und auch einmal mit einer Stimme sprechen können. Mitglied könnte jede Religionsgemeinschaft sein, die sich auf ein friedliches Miteinander verpflichtet. Das wollen wir von Seiten des Protestantischen Kirchenbezirks im kommenden Jahr anregen. Ich weiß nicht, ob man es hinkriegt, denn das Miteinander unter den muslimischen Vereinen ist nicht so stark ausgeprägt. Aber wenn man so ein Forum gründet und diejenigen mitarbeiten können, die es wollen, wäre das eine gute Form.