Ludwigshafen Wie man angesichts der Apokalypse Hoffnung bewahrt, diskutieren Philosophen im Bloch-Zentrum
Ernst Bloch hätte wohl seine Freude gehabt. Denn mit seinem ungebrochenen Optimismus und seiner Philosophie der Hoffnung und Utopie hat er im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Weltkriege und der Völkermorde, ziemlich einsam und allein dagestanden. Nun jedoch ging die Diskussionsrunde in dem nach ihm benannten Zentrum in seiner Geburtsstadt Ludwigshafen mit einer Absage an Katastrophenszenarios zu Ende und schloss mit den Worten: „Ich bin fürs Prinzip Hoffnung“.
Feststecken schon bei der Anfahrt
Vor die technischen und die Staatsdystopien des 20. Jahrhunderts, am bekanntesten George Orwells „1984“ und Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“, haben sich inzwischen Zukunftsängste geschoben, in denen menschengemachte Naturkatastrophen drohen. Erst dieser Tage hat ja die Klimakatastrophe mit heftigen, andauernden Regenfällen und daraus folgenden Überschwemmungen ihre Vorboten nach Süddeutschland geschickt. Dem Moderator der Diskussionsrunde, Matthias Alexander von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, gab so denn auch das Fernbleiben von Lars Schmeink, Medienwissenschaftler und Zukunftsforscher am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, einen willkommenen Anlass, über die Vor- und Nachteile von Bahn- und Autofahrten nachzudenken. Der verhinderte Gast auf dem Podium steckte nämlich ohne die geringste Aussicht auf Fortkommen mit der Bundesbahn fest, während der Moderator mit seinem Auto rechtzeitig im Ernst-Bloch-Zentrum eingetroffen war. Werbung für klimafreundliche Fortbewegungsmittel ist solch eine Panne nicht.
Maschinen übernehmen die Macht
Optimismus und Fortschrittsglauben teilten in dem nach Ernst Bloch benannten Zentrum aber auch nicht alle Diskussionsteilnehmer. „Ich bin sehr pessimistisch“, sagte die Kunsthistorikerin Theresa Deichert, die an der Universität Heidelberg über zeitgenössische japanische Kunst im Zusammenhang mit den ökologischen Auswirkungen der Atomreaktorkatastrophe von Fukushima promoviert worden ist. Schon in den 70er-Jahren nämlich habe sich die Klimakrise am Horizont abgezeichnet, führte sie aus, doch nichts habe sich geändert. „Wir sind in der Apokalypse“, meinte sie. Von ihrem Forschungsthema her brachte Theresia Deichert fernöstliche Erfahrungen in die Diskussion ein, ausgehend von Sion Sonos Science-Fiction-Film „The Whispering Star“. Vor dem Hintergrund der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011, spielt der Film in einer Zukunft, in der die Menschheit fast ausgelöscht ist und Maschinen die Macht übernommen haben. Von daher hält Theresia Deichert die Grenzen zwischen Mensch, Natur und Technik heutzutage für weitgehend aufgelöst. Beispielhaft führte sie die Wälder an, die inzwischen nur noch aus ökonomischen Interessen angelegt würden. Der Mensch stehe nicht mehr im Mittelpunkt, aber er trage Verantwortung für die Natur und die Zukunft, betonte sie.
Schlechte Stimmung nach Corona
Die stark alternde japanische Gesellschaft allerdings beschrieb Deichert als äußerst resignativ. Die Jugend sei total unpolitisch und flüchte sich in Animes und andere Scheinwelten. Einen ähnlichen Eindruck von der deutschen Jugend trug auch der Philosophielehrer Max Groh vor, der im Ernst-Bloch-Zentrum kürzlich eine Podiumsdiskussion mit Oberstufenschülern über ihre Zukunftsvorstellungen veranstaltet hat. „Desaströs“ nannte Groh die Zukunftsperspektive der Schüler, Hoffnungslosigkeit sei sehr verbreitet. Die dreijährige Corona-Zeit mit stark eingeschränktem Schulbetrieb habe stark zu dieser Stimmung beigetragen: „Sie haben die Erfahrung gemacht: Es interessiert sich niemand für uns.“ Mit Bloch bemühe er sich, seine Schüler das Hoffen zu lehren. „Die Zeit ist reif, dass sich etwas ändert“, meinte Groh.
Bewusstsein für Endlichkeit
Ganz so niederschmetternd stellt sich für Olivia Mitscherlich-Schönherr, Privatdozentin für Philosophie an der Universität Potsdam, die Situation nicht dar. Unter ihren Studentinnen und Studenten seien viele politisch aktiv, mehr als zu ihrer eigenen Studienzeit, meinte sie. Persönlich hält sie die Selbstzerstörung der Menschheit, ohne dass sie mit Absicht herbeigeführt worden wäre und ohne dass jemand sie gewollt hätte, zwar für denkbar. Vor der Vorstellung einer unausweichlichen Katastrophe warnt sie jedoch und empfiehlt die Lebensweisheit des Ignatius von Loyola: „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter“. Nach dieser Memento-Mori-Weisheit, dem Bewusstsein von der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit, solle jeder so leben, dass er in der Rückschau sagen könne: Es war richtig so, wie ich gelebt habe.
Nach seiner Erfahrung sei die Katastrophe auch noch nicht da, stellte Moderator Matthias Alexander gegen Ende der Veranstaltung fest. Er jedenfalls spüre in seinem täglichen Leben nichts von ihr. Vielleicht ist diese fehlende Erfahrung ja das ganze Problem. Und vielleicht bleibt gar nichts anderes übrig, als weiterzuleben und weiter zu hoffen.
Termin
Die Reihe „Hoffnungslos? Über Krise und Utopie“ im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum (Walzmühlstraße 63) wird fortgesetzt am Donnerstag, 4. Juli, um 18 Uhr mit dem letzten Teil „Utopie: Auswege“.