Ludwigshafen Wie ein Hemshöfer Bub Liddy Bacroff wurde

91-83551351.jpg

Theater vermag vielerlei zu bewirken. Anrührender als Dokumente, die in Archiven liegen, plastischer als Exponate in einer Ausstellung kann es ein Einzelschicksal in seinem historischen Kontext erlebbar machen. Dem Mannheimer Theater Oliv ist das in seiner Auftragsproduktion für das Stadtmuseum Ludwigshafen gelungen. Zum Ende der Ausstellung „Vom anderen Ufer“ wurde hier der Hemshöfer Bub Heinrich Habitz lebendig, der sich zu Liddy Bacroff gemacht hat.

Liddy hat mehr Spuren hinterlassen als andere ihresgleichen. Aus Gerichtsakten und hauptsächlich ihren eigenen Texten haben Angelika Baumgartner und Boris Ben Siegel ein Theaterstück geschrieben, das mehr ist als eine Collage. Unter dem etwas umständlichen Titel „Will flirten, toben, schmeicheln! Lasst mich - ich bin Liddy!“ erzählt es die Entwicklung einer Person, die Mann und Frau zugleich ist. Von der Seele her ist sie Frau; und weil die Seele stärker ist als der Körper, fällt Coralie Wolff in Angelika Baumgartners Regie der größere Part zu. Boris Ben Siegel verkörpert dann die Männer, die in ihr Leben treten. Wenn Liddy ins KZ eingewiesen wird, ist sie Mann, weil die Nazi-Justiz nur den Körper vermisst und als entartet deklariert, was nicht der Norm entspricht. Boris Ben Siegel steht dann in männlich ergebener Lässigkeit da. Demonstrativ gefühllos in dem Mantelkleid, das dem Ausstellungsfoto nachgeschneidert ist. Bühnenbild und Kostüme geben sich anständig bürgerlich, schon fast langweilig dezent. Ein plüschiger Ohrensessel, der dem Publikum den Rücken zukehrt, und ein Tisch mit Stühlen, alles in faden Beigetönen. Auch die Kostüme im Zwillingslook sind beige: gerade fallende Hose, etwas helleres Hemd, dazu die gleiche, wie angeklebte Frisur. Gediegene Bürgerlichkeit zwischen musealem und gegenwärtigem Styling. Keine schrillen Fummel, keine Transenkomik, wie sie zum beliebten Bühnenbestand gehören. Ein zartblaues Flatterkleid liegt auf einem niedrigen Sockel in der Bühnenmitte. Liddy wird es auf einem Maskenball tragen und versuchen, ihre große Liebe zu verführen. Die wohl autobiographische Geschichte hat Liddy selbst geschrieben. Heinrich benahm sich schon als Kind wie ein Mädchen und blieb auch nach einem Aufenthalt im Erziehungsheim „zu weich“. Nun hat er seinen ersten Job in Mannheim. Er sieht Otto und verliebt sich in ihn, wie sich nur eine Frau verliebt. Otto weist ihn ab, schenkt ihm aber eine Karte für einen Maskenball. Fiebernd und klopfenden Herzens schneidert sich Heinrich ein Kostüm als Tänzerin. Auf dem Ball liegen ihm die Männer zu Füßen, endlich auch der geliebte Otto. Als der ihn jedoch erkennt, zerbricht der Traum. Liddy hat der Erzählung den Titel „Freiheit“ gegeben. Heinrich wird fürs Abnormitäten-Kabinett entdeckt. Er geht nach Berlin, dann nach Hamburg und lebt in einer Atmosphäre zwischen künstlerischem Auftritt und Prostitution. Liddy fühlt sich endlich angenommen und lebt gut. Sie habe eine behördliche Erlaubnis als Transvestit, erklärt sie vor Gericht in einem matten Rechtfertigungsversuch. Das war einmal. Liddy wurde ermordet; in Hamburg wurde für sie ein Stolperstein gelegt. Mit Interviews mit Transsexuellen, die in der Rhein-Neckar-Region leben, wird der Bogen zur Gegenwart geschlagen. Sie haben es besser als Liddy und können sich frei zu ihrer Veranlagung bekennen. Ein Problem mit der gesellschaftlichen Akzeptanz haben aber auch sie noch. Ob man sie wirklich versteht, muss jeder für sich selbst beantworten. Termine Aufführungen für Schulen auf Anfrage bei regina.heilmann@ludwigshafen.de, Tel. 0621/504-2580 oder -2574.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x