Interview Was die Spendenaktion 72 in Ludwigshafen bewirkt

Unschuldig in Not Geratenen helfen, das will die Aktion 72.
Unschuldig in Not Geratenen helfen, das will die Aktion 72.

Seit 50 Jahren hilft die „Aktion 72“ Bedürftigen in Ludwigshafen. Die Spendensammlung hat wieder begonnen. Michael Schmid hat mit dem Vorsitzenden Ulrich Alter über die aktuelle Krise und das Jubiläum gesprochen.

Herr Alter, Inflation, Energiekrise, Ukraine-Krieg – die Zeiten sind hart. Wird eine Spendenaktion wie die Aktion 72 in diesem Winter noch mehr gebraucht als sonst?
Ich glaube, der Bedarf für die Aktion 72 ist immer da. Ob er dieses Jahr größer ist? Finanziell wahrscheinlich schon. Aber wir helfen ja mit Sachgutscheinen. Klar ist: Für Menschen, die ohnehin wenig Geld haben, wird es knapper.

Könnte sich das auch auf die Spendenbereitschaft auswirken, weil die Leute momentan das Geld eher zusammenhalten?
Das wird man sehen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass gerade in Krisenzeiten die Spendenbereitschaft hoch ist. Menschen, die über mehr finanzielle Mittel verfügen, haben auch mehr gespendet. Wir wurden da schon ein paar Mal positiv überrascht. Darauf hoffen wir auch in diesem Jahr.

Also ist die Solidarität in Krisenzeiten höher als sonst?
Ja, das würde ich schon sagen. Das Wissen, dass Spenden in solchen Zeiten gebraucht werden, sorgt für eine größere Solidarität, was sich dann auch beim Spendenaufkommen zeigt.

Im vergangenen Jahr gab es bei der Aktion 72 mit 166.000 Euro einen Spendenrekord. Ist das noch zu toppen?
Wir haben schon mehrfach gedacht, dass eine hohe Spendensumme nicht zu toppen ist – und sind dann angenehm überrascht worden. Aber generell gilt: Wir freuen uns über jeden Euro, der gespendet wird. Auch jede kleine Spende ist willkommen.

Es gibt einen harten Kern an Spendern, die jedes Jahr bei der Aktion 72 mitmachen.
Ja, den gibt es. Aber es kommen immer wieder auch neue Spender hinzu. Ich glaube, es ist den Spendern wichtig, dass sie etwas Gutes tun für die Menschen in der Region. Es wird hier vor Ort geholfen – das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Das ist das Erfolgsrezept der Aktion 72 von Anfang an?
Ja, deswegen wurde sie ja vor 50 Jahren gegründet. Es ging damals um Hilfe für die Menschen, die in den Werkstätten für Behinderte arbeiteten und um ihre Situation. Damals gab es noch nicht die Inklusion wie heute. Die Spendenaktion sollte speziell diesen Menschen helfen.

Dass daraus eine Spendenaktion wird, die 50 Jahre existiert, hätte wohl niemand damals gedacht.
Nein. Ich habe vor Kurzem mit dem ehemaligen Caritas-Direktor Herrmann Horst telefoniert. Er war einer der Mitgründer der Aktion 72. Er sagte mir, er hätte sich nie vorstellen können, dass diese Aktion fünf Jahrzehnte bestehen bleibt. Das liegt zum einen am großen Einsatz der „Aktionäre“, also der Menschen, die sich ehrenamtlich in der Aktion 72 engagieren. Und es gibt immer noch eine große Unterstützung – nicht nur durch die Spender. Die Sparkasse und auch die Lokalredaktion unterstützen uns seit Jahrzehnten.

Ist noch jemand aus der Gründergeneration dabei?

Seit neun Jahren Vorsitzender der Aktion 72: Ulrich Alter.
Seit neun Jahren Vorsitzender der Aktion 72: Ulrich Alter.

Ja, durchaus. Es sind noch viele da. Aber es gibt auch einige jüngere Mitglieder. Wir sind da gut aufgestellt. Die Organisation von Großveranstaltungen, wie früher das Polizeimusikfestival im Südwest-Stadion, ist ja mittlerweile weggefallen. Wir kümmern uns um das Spendensammeln und die Ausschüttung – Verwaltungskosten entstehen dabei nicht. Die Spenden kommen daher zu 100 Prozent bei den Bedürftigen an.

Wie groß ist der harte Kern der Spender?
Es sind zwischen 1500 und 1700 Einzelspender, die uns jedes Jahr die Treue halten. Es gibt mittlerweile auch Stiftungen, die uns mit Spenden unterstützen. Es gibt in der Stiftergemeinschaft der Sparkasse Vorderpfalz eine Stiftung, die zugunsten der Aktion 72 gegründet wurde. Es gibt schon länger die Meter-Stiftung, die uns unterstützt. Und in diesem Jahr kam der Förderpreis der Roland-Stiftung dazu, die uns für vorbildhaftes bürgerliches Engagement auszeichnet. Das Preisgeld beträgt 1500 Euro, das wir als Startkapital für die diesjährige Spendensammlung nehmen.

Die Aktion 72 hat früher Großveranstaltungen organisiert, um Spenden zu sammeln. Was ist zum 50. Jubiläum geplant?
Beim Polizeimusikfestival haben die Aktion 72 und die Polizeidirektion Ludwigshafen früher eng kooperiert. Auch viele in der Region stationierte Militärkapellen waren dabei. Heute könnten wir das weder personell noch von den Auflagen her stemmen. Wir wollen ja Geld sammeln und die Kosten wären ein Problem, weil dann nicht mehr viel hängen bleiben würde. Wir haben lange überlegt, ob wir im Jubiläumsjahr etwas Größeres machen und haben uns aber dann dagegen entschieden. Wir feiern klein – das Adventskonzert mit dem Landespolizeiorchester in der Friedenskirche in der vergangenen Woche war sowohl der Auftakt für die Weihnachtspendenaktion als auch der Festakt für unser Jubiläum.

Die Hilfesuchenden bekommen kein Geld, sondern Sachgutscheine – ist das vielleicht auch das Erfolgsrezept der Aktion 72?
Ja. Wir haben dadurch im Blick, was mit den Spenden passiert, wofür sie eingesetzt werden.

Sie sind seit 25 Jahren bei der Aktion 72 dabei. Welche Schicksale von Betroffenen sind Ihnen in Erinnerung geblieben?
Ein Fall hat mich besonders erschüttert. Da hatte ein Mann aus familiären Gründen seine Wohnung verloren und hauste in einer Garage in Friesenheim. Ich war schockiert, als ich das erfahren habe – zumal ich selbst in Friesenheim lebe. Krisen und persönliche Notsituationen passieren direkt vor unserer Haustür – und nicht nur weit weg irgendwo in der Welt. Dem Mann wurde geholfen bei der Wohnungssuche und wir haben den Neuanfang unterstützt. Es gibt immer wieder Leute, die durch das Raster unseres Sozialstaates fallen.

Die Aktion 72 arbeitet mit Institutionen wie Diakonie oder Caritas sowie Hilfsvereinen und Selbsthilfegruppen zusammen, die Fälle an Sie herantragen.
Genau. Das sind erfahrene Leute, die wissen, wo und wie wir helfen können. Wir sind ja nur ehrenamtliche Laien – wir bekommen von diesen Akteuren ein tolle Unterstützung.

In fünf Jahrzehnten hat die Aktion 72 über drei Millionen Euro gesammelt – eine gewaltige Summe.
Es sind mittlerweile fast 3,5 Millionen Euro. Wenn dieses Jahr die Weihnachtsspendenaktion gut läuft, haben wir große Chancen, diese Marke zu knacken. Das ist eine unvorstellbare Summe, die in den 50 Jahren zusammengekommen ist. So lange wir alle fit und gesund bleiben, werden wir weitermachen.

Zur Person

Ulrich Alter (57) ist seit neun Jahren Vorsitzender der Aktion 72. Er arbeitet bei der Sparkasse Vorderpfalz. Der Friesenheimer ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Zur Sache: Aktion 72

Seit 1972 gibt es die Aktion 72, die unverschuldet in Not geratenen Bürgern aus Ludwigshafen hilft. Zum 28. Mal findet in der Adventszeit die Spendenaktion gemeinsam mit der RHEINPFALZ statt. Wir veröffentlichen Fallbeispiele, um zu zeigen, wie den Betroffenen mit dem Geld konkret geholfen wird. Eine Besonderheit der Aktion 72: Hilfesuchende bekommen Sachgutscheine und kein Bargeld. Die Aktion wird von rund 20 Mitgliedern ehrenamtlich organisiert, die über die Verteilung der Spenden entscheiden. Seit der Gründung sind bereits fast 3,5 Millionen Euro zusammengekommen. Das Spendenkonto bei der Sparkasse Vorderpfalz hat die IBAN DE 70 5455 0010 0000 0067 00.

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