Ludwigshafen „Wagnerianer dem Geschmacke nach“

In einem unangemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Musik im Werk Ernst Blochs steht der Stand der Forschung. Auf das eklatante Missverhältnis hat der Leiter des Ernst-Bloch-Zentrums, Klaus Kufeld, hingewiesen, als er die Teilnehmer an dem Symposium „(Ton-) Spurensuche“ begrüßt hat. Der zweitägige Austausch von Musikwissenschaftlern hat die Forschung zwar nicht wesentlich vorangebracht. Aber ein Anfang ist gemacht.

Eine vor Jahren gemeinsam mit der Universität Freiburg geplante große internationale Tagung zu dem Thema sei schließlich am Geld gescheitert, bedauerte Kufeld. Er machte aber auf den Nachlass des Philosophen aufmerksam, der noch unerforscht im Bloch-Zentrum auf eine Sichtung wartet. Die jetzige kleine Tagung veranstaltete das Bloch-Zentrum zusammen mit der Ernst-Bloch-Gesellschaft und der Universität Siegen. Zwischen der Aufführung „Die Schönheit der Zahlen 1: Newtons Apfel“ mit der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz am Donnerstagabend in der Ludwigshafener Friedenskirche und einer öffentlichen Probe der Komposition „In-Schrift 1“ von Wolfgang Rihm, auch Schirmherr der Tagung, am Samstagabend gab es Vorträge zu hören, die sich mit Blochs Musiktheorie allgemein beschäftigten oder mit speziellen Fragen wie seinem Verhältnis zu Hanns Eisler, Ernst Krenek oder dem weitgehend vergessenen August Halm. Eine nachlassende Bedeutung der Musik für Bloch, schon allein nach dem Umfang zu urteilen, den ihr der Philosoph in seinen Schriften eingeräumt hat, bemerkte einleitend die Präsidentin der Bloch-Gesellschaft Francesca Vidal. In dem vormarxistischen, noch zur Zeit des Ersten Weltkriegs abgefassten Jugendwerk „Geist der Utopie“ widmet Bloch noch über ein Drittel des Buchs einer ästhetischen Theorie der Musik und weist ihr unter allen Künsten eine herausragende Stellung zu. In dem umfangreichen, etwa 30 Jahre später entstandenen „Prinzip Hoffnung“ gesteht Bloch Überlegungen zur Musik in ihrer utopischen Funktion noch ein Kapitel von etwa 50 Seiten zu. Zumindest als Problem machte Joachim Lucchesi von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg nebenbei darauf aufmerksam, dass Blochs Musikbegriff eingeschränkt ist auf die im Mittelalter entstandene polyphone abendländische Musik. Weitgehend ausgeblendet, so Lucchesi, bleibe auch die späte Moderne. Blochs rätselhafte Ignoranz gegenüber dem Werk Hanns Eislers trotz persönlicher Freundschaft stellte Friederike Wißmann vom Konservatorium Wien heraus. Mit dem einseitigen Einfluss Blochs auf den Komponisten Ernst Krenek, vor allem durch seine Überlegungen zur Montagetechnik und zum Surrealismus, beschäftigte sich Tagungsleiter Matthias Henke von der Universität Siegen. Und Thomas Kabisch von der Hochschule für Musik Trossingen ging dem eigenwilligen Umgang Blochs mit August Halms Schriften zur Musiktheorie im „Geist der Utopie“ nach. Bloch, 1885 in Ludwigshafen geboren, sei nicht nur „Wagnerianer dem Geschmacke nach“ gewesen, schloss Kabisch. In musikalischer Hinsicht sei er sein Leben lang dem Ideenkomplex des 19. Jahrhunderts verpflichtet geblieben. Diese Einschätzung fand eine Bestätigung durch die Erzählung von einer Begegnung mit Bloch, die der Komponist Dieter Schnebel einbrachte. Als sein Bewunderer habe er Bloch zu dessen 80. Geburtstag einen Essay über neue Musik mit dem Titel „Die kochende Materie der Musik“ geschickt und keine Antwort erhalten. Als er Bloch bald darauf auf einer Tagung der evangelischen Kirche begegnet sei, habe der auf einem gemeinsamen Spaziergang beinahe ausschließlich über Wagner gesprochen und ganze Partien aus dem „Siegfried“ gesungen. „Bloch hatte wohl nichts mit der neuen Musik am Hut“, schloss Schnebel, während er seinerseits Wagner mit seinem unheilvollen Einfluss auf die Nationalsozialisten aus dem Weg gegangen sei. Der Auftritt des 84-jährigen Komponisten bildete den Höhepunkt der Tagung. Schnebel schilderte, wie ihn Blochs emotionale Denk- und Schreibweise stark beeindruckt habe. Der ehemalige Professor für experimentelle Musik an der Hochschule der Künste Berlin brachte sein experimentelles Stück für Sprecher und Instrumentalisten „Glossolalie 61“ zu Gehör sowie eine Bearbeitung des ersten Satzes von Beethovens fünfter Symphonie für Marimbaphon, in der auch eine Windmaschine zum Einsatz kommt. Getreu Blochs Geschichtsphilosophie von der Unabgeschlossenheit der Vergangenheit hat sich Schnebel in den „Re-Visionen“ daran gemacht, verborgenes Modernes an Kompositionen seit dem Mittelalter offenzulegen. Schließlich stellte der Komponist den Anfang seines erst im Mai auf der Münchener Biennale uraufgeführten musikalischen Kammertheaters für sechs Sänger und Instrumente namens „Utopien“ auf DVD vor. Schon der Titel enthält einen deutlichen Verweis auf Bloch, das Stück selbst zitiert ihn ausgiebig. So mag Blochs Liebe zwar nicht der avantgardistischen Moderne gehört haben. Doch diese schreckt vor einer Liebe, und bleibe sie auch einseitig, nicht zurück.

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